VCÖ-Factsheet: Wie Wohnbau gesunde Mobilität fördern kann

Die meisten Alltagswege beginnen oder enden zu Hause. Eine auf das Gehen und Radfahren ausgerichtete Planung im Wohnumfeld fördert aktive Mobilität und steigert damit die Gesundheit.

VCÖ-Factsheet 2015-11 als PDF (668,5 KiB)

Bewegungsmangel ist ein zunehmendes Gesundheitsproblem in Österreich. Nur jede vierte erwachsene Person bewegt sich ausreichend. Bei den 11 bis 15-Jährigen kommt sogar nur jedes fünfte Kind auf das empfohlene Bewegungspensum. Inaktivität wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Übergewicht, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind einige der möglichen gesundheitlichen Konsequenzen von Bewegungsmangel. Durch regelmäßige Bewegung kann diesen gesundheitlichen Risiken vorgebeugt werden. Durch mehr aktive Mobilität wie Gehen und Radfahren nimmt die körperliche Fitness zu und das Risiko für Krebserkrankungen ab.  

Der Umstieg vom Auto auf das Rad ist gesund, erspart Kosten und verbessert die Luftqualität.

Gesünder leben durch aktive Mobilität

Etwa jeder dritte Alltagsweg in Österreich wird zu Fuß oder mit dem Rad erledigt. Zwei Drittel fährt zumindest gelegentlich im Alltag Rad. Wie viel gegangen oder Rad gefahren wird, hängt ganz wesentlich vom Wohnumfeld ab. Immerhin acht von zehn Wegen beginnen oder enden zu Hause. Kompakte Siedlungsstrukturen, Verkehrsberuhigung, die attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums, gute Bedingungen zum Gehen und Radfahren sowie eine leichte Erreichbarkeit von Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs fördern aktive Mobilität und tragen damit zur Gesundheit bei. 

Die alltägliche Mobilität, etwa zur Arbeit oder zum Einkaufen, ist eine gute Möglichkeit, auf einen Teil der empfohlenen Bewegung zu kommen.

Erwachsenen wird empfohlen, sich pro Woche mindestens 150 Minuten mit mittlerer Intensität zu bewegen. Mittlere Intensität bedeutet, dass Sprechen während der Bewegung möglich ist, Singen aber nicht. So können Alltagserledigungen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auch mit dem Scooter gemacht werden. Das Wohnumfeld spielt bei der Wahl aktiver Mobilitätsformen eine wesentliche Rolle. Ab einer Bevölkerungsdichte von 40 Personen pro Hektar sind für die Alltagswege Gehen, Radfahren und Öffentlicher Verkehr wichtiger als das Auto. Ab einer Dichte von 80 Personen pro Hektar ist das Gehen die wichtigste Fortbewegungsart.

Gemeinden sind aktiv für gesunde Mobilität

Gemeinden und Städte können viel tun, damit die Bevölkerung mehr Erledigungen gesund zu Fuß oder mit dem Rad macht. Wohnbau, Verkehrsplanung oder die Gestaltung des öffentlichen Raums können gute Rahmenbedingungen für eine bewegungsfördernde Lebenswelt schaffen. 

Im Wohnbau sind Mobilitätsangebote mitzudenken, die eine hohe Wahlfreiheit in der Verkehrsmittelwahl abseits des eigenen Autos ermöglichen, wie großzügige und bequem erreichbare Fahrradabstellplätze, Carsharing oder Leihradstationen. 

Förderlich für aktive Mobilität sind auch ein dichtes Wegenetze für das Gehen und Radfahren, Abkürzungen sowie bei Ampeln kürzere Rotphasen für Fußgängerinnen und Fußgänger. Fahrbahnen können bei Tempo 30 statt 50 um fast einen Meter schmäler gebaut werden, womit mehr Platz zum Gehen und zum Verweilen frei wird. Bei Tempo 30 ist die gemeinsame Nutzung der Fahrbahn durch Kfz- und Radverkehr möglich, wodurch keine eigene Infrastruktur für das Radfahren erforderlich wird. 

Verkehrsberuhigung vor Kindergärten und Schulen tragen dazu bei, dass Wege dorthin verstärkt zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Auch Straßensanierungen können genutzt werden, um aktive Mobilität zu fördern.

Ansprechendes Umfeld fördert das Gehen

Die Bereitschaft Alltagswege zu Fuß zu gehen steigt in der Bevölkerung, wenn das Wohnumfeld geh- und radfahrfreundlich gestaltet ist.

Menschen sind in einem attraktiven Umfeld bereit, weitere Strecken zu Fuß zu gehen. Was macht ein attraktives Umfeld aus? Wichtig sind einerseits kurze und direkte Wege sowie niedriges Tempo des Verkehrs, breite Flächen zum Gehen und leichtes Queren der Fahrbahn an mehreren Stellen. Andererseits sind es auch Möglichkeiten für soziale Interaktionen wie ausreichend Sitzgelegenheiten und Treffpunkte. Der öffentliche Raum kann zusätzlich durch ästhetische Merkmale wie abwechslungsreiche Architektur oder schöne Sitzmöbel sowie durch grüne Erholungsräume, lebendige Erdgeschoßzonen und eine geringere Anzahl parkender Autos bewegungsanregender gestaltet werden.

Ausreichend Radabstellplätze schaffen 

42 Prozent der Personen, die in Mehrparteienhäusern wohnen sind laut repräsentativer VCÖ-Radfahr-Umfrage unzufrieden mit dem Angebot an Radabstellmöglichkeiten in ihrem Wohnumfeld. Schlechte Abstellmöglichkeiten am Wohnort sind für rund die Hälfte der Menschen der ausschlaggebende Grund, nicht Rad zu fahren. Idealerweise liegen Fahrradabstellanlagen nahe dem Hauseingang, sind ohne Überwindung von Hindernissen erreichbar und wettergeschützt. Mindeststandard sind ein Fahrradabstellplatz pro 30 Quadratmeter Wohnfläche und Qualitätskriterien wie leichte Zugänglichkeit, Witterungsschutz sowie genügend Platz für Zubehör.

Bewusstseinsbildung ist wichtig 

Zahlreiche Studien haben untersucht, welche Faktoren das Radfahren im Alltag begünstigen. Soziale Unterstützung und Vorbildverhalten anderer erweisen sich als vorteilhaft. Auch die wahrgenommenen Vor- und Nachteile des Radfahrens und soziale Normen und Werte sind ausschlaggebend.

Praxisbeispiele zeigen, wie es gehen kann 

Die Tiroler Gemeinde Serfaus hat das gesamte Ortsgebiet zur Begegnungszone gemacht. In der Marktgemeinde Wolfurt wurde eine Begegnungszone auf einer Landesstraße mit mehr als 10.000 Kfz pro Tag umgesetzt. Begegnungszonen erleichtern es, zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs zu sein.

In der „Raumentwicklung Montafon“ arbeiten sieben Gemeinden zusammen, um ehemalige -Fußwege zu reaktivieren. Weglücken werden geschlossen und Querverbindungen ausgebaut. Vergessene Fußverbindungen wurden anhand alter Pläne und Befragungen älterer Menschen recherchiert. Die Lokale Agenda 21 in Wien Landstraße hat gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern einen einfach lesbaren Plan für das Gehen im Alltag erstellt, in dem Geschäfte und Abkürzungen eingezeichnet sind.

Verkehr beeinflusst das Sozialleben

In Straßen mit weniger als 2.000 Kfz pro Tag kennen einander viele Bewohnerinnen und Bewohner, reden mehr miteinander und Kinder spielen häufiger mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft. Es gibt im Unterschied zu stark befahrenen Straßen deutlich mehr soziale Kontakte. Gehen und Radfahren fördern die sozialen Interaktionen.

Gerade für ältere Menschen sind soziale Kontakte und die größere Hilfsbereitschaft sehr wichtig. Ist das Wohnumfeld so gestaltet, dass ältere Menschen Alltagswege mit dem Fahrrad oder zu Fuß erledigen können, können sie weiterhin selbstständig am sozialen Leben teilnehmen und ihre sozialen Netzwerke pflegen. Personen, die sozial isoliert leben, weisen einen schlechteren Gesundheitszustand auf als Menschen, die aktiv am Sozialleben teilnehmen. Fuß- und Radwegnetze, die sicher und bequem sind, sind wesentlich für den Erhalt der Mobilität und Eigenständigkeit älterer Menschen. 

Öffentlichen Raum bewegungsfreundlich gestalten 

Folgende Faktoren für die altersgerechte und bewegungsfreundliche Gestaltung des öffentlichen Raums haben sich in Projekten wie PASEO oder „Gemeinsam Gehen“ als bedeutsam erwiesen:

• ausreichende Beleuchtung, Barrierefreiheit, Sitzmöglichkeiten, Toiletten 

• wohnortnahe Grün- und Parkanlagen

• Stolperfallen beseitigen (Höhen-unterschiede bei Gehsteigkanten oder beschädigter Belag)

• absenken von Gehsteigkanten 

• schwer passierbare Fahrbahnquerungen durch Querungshilfen (Mittelinsel) entschärfen 

• breite Gehsteige, bei schmalen Gehsteigen Hindernisse entfernen. Verkehrsschilder sollen nicht am Gehsteig stehen.

Wohnumfeld bestimmt Mobilitätsverhalten  

Die Siedlungsentwicklung und das Wohnumfeld haben großen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten. Während in dicht verbautem Gebiet jede dritte Person täglich Bahn oder Bus nutzt, tut dies in Streusiedlungen nur eine von 15 Personen. 45 Prozent fahren in Regionen mit niedriger und mittlerer Bevölkerungsdichte täglich mit dem Auto, bei hoher Bevölkerungsdichte sind es nur 27 Prozent. Kompakte Siedlungsstrukturen entlang von Verkehrsachsen des Öffentlichen Verkehrs, Funktionsmischung, übersichtliche öffentliche Räume mit Geh- und Radverbindungen, die das Gemeindegebiet durchziehen und Ortschaften miteinander verbinden, fördern die aktive Mobilität und damit die Gesundheit und reduzieren die Abhängigkeit vom Auto.

Vom Energiesparhaus zum Verkehrsparhaus 

Immer mehr Wohnprojekte zeigen, wie mit einem vielfältigen Mobilitätsangebot gesunde Mobilität gefördert werden kann. So benötigt das „Wohnprojekt Wien“ für 39 Wohnungen lediglich sechs Pkw-Stellplätze, die für Carsharing-Fahrzeuge reserviert sind. Zudem gibt es eine große Fahrradabstellanlage mit 100 Plätzen, Servicestation und Leih-Lastenrad.

Beim Wohnbau Gaswerkgasse in der Stadt Salzburg wurden statt der üblicherweise vorgeschriebenen 1,2 Pkw-Parkplätze pro Wohneinheit nur 0,5 Parkplätze errichtet. Stattdessen erhält jeder Haushalt drei Jahre lang ein Jahresticket für den Verkehrsverbund. Der Wohnbau ist sehr gut an den Öffentlichen Verkehr angebunden. Im großen Fahrradraum gibt es Steckdosen für Elektro-Fahrräder, eine Service-station sowie versperrbare Boxen für Zubehör.

Gesundes Wohnumfeld

Das Wohnumfeld als Aufenthaltsraum gestalten

• In Neubaugebieten Nutzungsmischung forcieren. Bei Revitalisierung zentrumsnahe Flächen vorrangig bebauen, Zersiedelung vermeiden.

• Investitionen und Flächenverteilung zugunsten von Gehen, Radfahren und Öffentlichem Verkehr

• Sicherheit durch Verkehrsberuhigung und Tempo 30 statt Tempo 50 

• Mindestanzahl und Mindestqualität an Fahrrad-Abstellplätzen im Wohnbau in den Bauordnungen verankern und auch im Wohnumfeld anbieten

• Qualitätsvolle Frei- und Grünräume im Wohnumfeld

• Attraktiv gestaltete öffentliche Räume beleben Ortskerne

Qualitätsvolle Infrastrukturen für das Gehen und Radfahren schaffen

• Begegnungszonen im Ortsgebiet verstärkt umsetzen

• Breite Gehsteige, Abkürzungen schaffen und Durchgänge öffnen, -Stolperfallen beseitigen, Sitzgelegenheiten errichten

• Angemessene Breite bei Radwegen (Mindestbreite 1,50 Meter auf Rad- und Mehrzweckstreifen und 2 Meter auf eigenständigen Radwegen)

• Radverkehrsnetz im Ort, direkte Radverbindungen zwischen Orten, kreuzungsfreie und bevorrangte Hauptradrouten vom Umland in die Zentren

• Bahnhöfe und Haltestellen gut zu Fuß und mit dem Fahrrad erreichbar machen

• Verkehrsberuhigung vom Wohnumfeld bis zu Schulen und Kindergärten gewährleisten

 

Mag. Markus Gansterer, VCÖ-Verkehrspolitik:

„Verkehrsberuhigte Wohngebiete mit kurzen Wegen zu den Alltagszielen sind eine gute Voraussetzung für -aktive, gesundheitsfördernde -Mobilität. Dazu sind neue Siedlungen möglichst zentrumsnah und verkehrsparend zu errichten.“

Dr. Verena Zeuschner, Gesundheitsreferentin im Fonds -Gesundes Österreich (www.fgoe.org):

„Bewegungsfördernde Lebenswelten beeinflussen unsere Entscheidung, im Alltag  aktive Mobilitätsformen wie Gehen oder Radfahren zu nutzen. Das wirkt sich nicht nur auf unsere körperliche Gesundheit positiv aus sondern fördert zudem soziale Interaktionen im Wohnumfeld und trägt zu mehr Wohlbefinden bei.“

 

Quellen: VCÖ-Schriftenreihe Mobilität mit Zukunft: Wohnbau, Wohnumfeld und Mobilität (2015), Lebensraum Stadt und Mobilität (2014), Gesundheitsfaktor Mobilität (2012), VCÖ-Mobilitätspreis-Projektdatenbank (www.vcoe.at), Das Rad als Transportmittel, Projektberichte PASEO und Gemeinsam Gehen

 
Zurück zur Übersicht