Interview mit Ulrike Haele - Langversion

Mit Ulrike Haele sprach das VCÖ-Magazin, warum Design zu einer besseren Welt und zum Lösen der Herausforderungen unserer Zeit viel beitragen kann. 

VCÖ-Magazin: Das Projekt StadtFabrik, das Sie für das MAK kuratieren, untersucht Potenziale für eine zukunftsfähige Stadt – wie gehen Sie dabei vor? 
Ulrike Haele: Die Stadtfabrik wendet sich nicht nur an die Kreativwirtschaft um aufzuzeigen, wie zu den Themen COMMONING, INCLUSION und FUTURE PRODUCTION künftige Projekte entstehen können. Möglichkeiten städtischen Wandels werden auch in der App „Ideas for Change“ als Positiv-Beispiele publiziert oder in Form von eins zu eins-Versuchsanordnungen im öffentlichen Raum für alle nachvollziehbar. Den Auftakt machte etwa ein offener Kleiderschrank zum Ausprobieren am Gehsteig am Stubenring.

VCÖ-Magazin: Was hat das mit Design zu tun?

Design ist unsichtbar“

Ulrike Haele: Der Designtheoretiker Lucius Burckhardt hat geschrieben, Design ist unsichtbar, und sagte, wieso einen Bus gestalten, vielleicht reicht es, einen Fahrplan zu entwerfen, um eine Fragestellung zu beantworten. Auch Fragen, wie gestalte ich mein Leben, was konsumiere ich, wie bewege ich mich fort, können Gegenstand eines Designprozesses werden.

VCÖ-Magazin: Bei Ihrem Projekt StadtFabrik verwenden Sie auch Begriffe wie „neue Anwendungsmoral“ – ist das Vermitteln von Werten auch Aufgabe von Design?
Ulrike Haele: Glaube ich schon. Designerinnen und Designer, die gewohnt sind interdisziplinär zu arbeiten, sind auch gute Akteure auf dem Weg in eine positive Gesellschaft, in neue Herausforderungen. Sie gehören besser informiert, um zu wissen, dass etwas diese und jene Auswirkungen hat, um informiert Entscheidungen treffen zu können. Design ändert nicht immer nur ein Produkt, sondern auch ein Produktservice, etwa „nutzen statt besitzen“ ist eine von vielen Öko-Design-Strategien, etwa um Ressourcen und Aufwand zu verringern. Jede Aufgabe kann Thema für einen Design-Prozess sein, es gibt ganz viele junge, die sich im Design-Bereich Gedanken zu mehr Nachhaltigkeit machen. Da ist ein Paradigmenwechsel in Gang, auch wenn die Ausbildung hinterher hinkt – da sind manchmal Absolventinnen und Absolventen weiter als die Ausbildung, die sie genossen haben. 

VCÖ-Magazin: Und wo setzen Sie mit der StadtFabrik an, wie arbeiten Sie?

„Wichtig ist das Verknüpfen vorhandener Initiativen“

Ulrike Haele: Wir luden etwa John Thackara, ein Vordenker des positiven Wandels durch Design nach Wien ein. Er sagt, dass die Dinge nicht immer neu erfunden werden müssen. Er propagiert horizontales Denken, das Verknüpfen vorhandener Initiativen, zu schauen, wo ist ein Missing Link. Dadurch entsteht eine viel stärkere Kraft als beim Versuch, Leute zu überzeugen, die gar nicht sensibilisiert sind für das Thema. Dass Synergien genutzt werden - Kooperation statt Konkurrenz ist ein ganz wichtiges Thema.
Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten interessieren sich nicht nur für das Endprodukt sondern auch für den Entstehungsprozess. Wenn ich beispielsweise höre, dass ein Hut, der mir gefällt für mich persönlich binnen sechs Tagen hier in Wien am Schwedenplatz gefertigt wird, dann nehme ich den kleinen Preisaufschlag gerne in Kauf, weil das eine schöne Überlegung ist, die dahinter steckt. Wir machen alternative Projekte sichtbar, wie die Pilzproduktion von Hut & Stiel in Wien, wo mit dem Lastenrad Kaffeesatz aus der Gastronomie eingesammelt wird, damit im 20. Bezirk im Keller Pilze gezüchtet und diese im Lastenrad wieder an die Gastronomie und Märkte ausgeliefert werden. Da entsteht spannende Kreislaufwirtschaft, die auch in Bezug auf Mobilität Bedeutung haben, weil sie kurze Wege nutzen und schaffen.

VCÖ-Magazin: Sie regen bei Ihren Projekten aber auch dazu an, Neues auszuprobieren?

„Soviel Selbstdenken und ziviler Ungehorsam muss schon sein!“

Ulrike Haele: Wir arbeiten auch mit Demonstratoren, wo wir eins zu eins etwas im Stadtraum ausprobieren. Ein Beispiel bei der Vienna Biennale 2015 war der Versuch, wie sich die Wahrnehmung verändert, welche Qualität entsteht, wenn eine Straße einen Tag lang verkehrsfrei ist. Oder die Bank für Gemeinwohl war eingeladen, für einen Tag eine Filiale zu eröffnen. Die Politik ist ein wichtiger Akteur, aber genauso wichtig ist, dass wir als Individuen uns nicht ohnmächtig fühlen, sondern das Gefühl haben, etwas beitragen zu können. Der dafür nötige Spielraum muss immer wieder eingefordert werden – das ist ein zivilgesellschaftlicher Kraftakt, den wir setzen sollten. Ich hatte bei den Erdgesprächen eine Begegnung mit Roland Düringer. Eine Zuhörerin hat ihn gebeten, sie zu unterstützen, weil bei den Steinhofgründen verboten wurde, in den Schrebergärten Nutzpflanzen anzusetzen. Er antwortete, das interessiert mich nicht – pflanzen Sie da einfach Gemüse an und wenn Sie dann Ärger kriegen, dann können Sie sich bei mir melden. Soviel Selbstdenken und ziviler Ungehorsam muss schon sein!

VCÖ-Magazin: Ein Ziel des Projektes StadtFabrik ist auch „die Möglichkeiten städtischen Wandels für alle nach vollziehbar machen“. Wie weit ist Wandel was Positives – Wandel ist gerade in unserer sehr wandelbaren Zeit auch mit viel Angst verbunden?
Ulrike Haele: Deshalb ist es uns so wichtig in der Kommunikation Positivbeispiele zu zeigen.  Dieses „packen wir es schon einmal an“ gegen diese Ohnmacht. Die Zahlen, die kürzlich wieder kommuniziert wurden, dass Österreich 36 Prozent mit den CO2-wirksamen Gasen runterfahren muss – dass das nicht nur als Zwang von oben kommuniziert wird, sondern der Zugewinn, der dadurch entsteht, wenn beispielsweise weniger Autos in der Stadt stünden, die positiven Aspekte eines notwendigen Wandels bewusst gemacht werden.

VCÖ-Magazin: Wie bringt man die Leute dazu etwa die Herausforderung, die die Flüchtlinge bedeuten, anzunehmen?

„Kultur nährt sich nicht aus sich selbst“

Ulrike Haele: Inklusion ist einer der drei Themenschwerpunkte unseres StadtFabrik-Projektes. In Bezug auf Flüchtlinge versuchen wir da, Positivbeispiele zu zeigen, Potenziale, die Flüchtlinge mitbringen. Es sind auch Flüchtlinge aus dem Kreativbereich in Österreich, Architektinnen und Architekten, Fotografinnen und Fotografen, Bildhauerinnen, Grafikdesigner – wir versuchen mit denen gemeinsam bewusst zu machen, dass sich Kultur nicht nur aus sich selbst nährt, sondern immer eine Melange ist, aus verschiedenen Kulturen und Einflüssen. Hier Positives hervorzukehren und zu kommunizieren statt immer nur Horrormeldungen, andere Erzählungen weitertragen, das ist ein Schritt, womit doch einige erreicht werden können.

VCÖ-Magazin: Kann Design zur Lösung des Flüchtlingsproblems beitragen?
Ulrike Haele: Bei dem offenen Designbegriff, der davon ausgeht, dass jede Fragestellung Aufgabe eines Designprozesses sein kann, schon.  Es kann die Frage gestellt werden, was Design tun kann, um das Potenzial von Flüchtlingen in Hinblick auf Integration in unsere Gesellschaft zu maximieren. Wir hatten einen Workshop mit 35 Leuten, österreichische Kreative und Kreative mit Flüchtlingshintergrund. Als Aufgabenstellung  haben wir zuerst gefragt, wo sind eure Probleme, was hindert euch am meisten dran, hier anzukommen und eurer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Das waren etwa die Sprache, die Zertifizierung ihrer Ausbildung. Wir haben versucht, neue Möglichkeiten der Zertifizierung, der Sichtbarkeit ihrer Qualifikationen zu entwerfen, mit eigens gestalteten Zertifizierungen, mit Videotagebüchern. Das sind Aktionen zur Sensibilisierung, um aufzuzeigen, die bringen auch was rein in die Gesellschaft, sie sind nicht nur Flüchtlinge, sondern haben auch eine professionelle Identität. Das kann Design durchaus leisten.

Das Gespräch führte Christian Höller

Ulrike Haele, Institut für Designforschung in Wien, ist Kuratorin der StadtFabrik im MAK. In den drei Themenblöcken COMMONING, INCLUSION und FUTURE PRODUCTIONwerden insbesondere Potenziale alternativer Formen der Zusammenarbeit und Innovation für den Wandel in einer zukunftsfähigen Stadt untersucht. StadtFabrik ist eine Kooperation zwischen dem MAK Museum für angewandte Kunst und der Wirtschaftsagentur Wien (bis 10.1. 2017)  www.mak.at/aktuell

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