Von Haus aus gehen

Gehen ist ein natürliches Lebensbedürfnis, das ein passendes, fußläufiges Umfeld braucht. Immer mehr Gemeinden, Dörfer ebenso wie Tourismusorte, besinnen sich dieser Qualität. 

>> Von Sonja Bettel

Als im Herbst 2012 über Langzeit-Studien aus den USA berichtet wurde, wonach zu wenig Bewegung die Lebenserwartung reduziert, wanderte ein Slogan durch die deutschen Medien: „Sitzen ist das neue Rauchen“. Gemeint war, dass quasi selbst schuld ist, wer seine Lebenszeit wissentlich beschneidet. Viele Menschen sind jedoch gezwungen, bei der Arbeit stundenlang zu sitzen, deshalb ist es wichtig und vielen Menschen ein Bedürfnis, als Ausgleich viele Alltagswege zu Fuß zurücklegen zu können. Durch das passende Wohnumfeld und entsprechende Angebote können Gemeinden das Gehen fördern. Und immer mehr tun es auch.

Das neue Zentrum von Fließ

Interessant ist, dass Menschen, die in Städten wohnen, sich diesbezüglich zunehmend weniger von jenen auf dem Land unterscheiden. Die Gemeinde Fließ im Tiroler Oberland zum Beispiel, in der rund 3.000 Menschen leben, ist mit ihren neun Weilern links und rechts des steilen Inntals extrem verzweigt und hat 90 Kilometer Straßen. Die jungen Leute möchten zunehmend nicht mehr weit außerhalb wohnen und alle Wege mit dem Auto zurücklegen müssen, stellt Bürgermeister Hans-Peter Bock fest, sondern lieber im Ortszentrum wohnen. Die Gemeinde hat deshalb in den vergangenen zehn Jahren ein Gemeindezentrum gebaut, in dem das Gemeindeamt, die Poststelle, der Arzt, ein Raum für Jugendliche, ein kleiner Lebensmittelmarkt und die Bushaltestelle samt Dorfbrunnen zu finden sind. Gleich daneben wurde ein Wohnhaus errichtet, in dem Startwohnungen für junge Menschen und betreubare Wohnungen für Ältere untergebracht sind. Von dort ist alles, auch das Museum, das Café und die Kirche, in wenigen Minuten Fußweg erreichbar. Das alte Gasthaus gegenüber hat der Gemeindearzt Walter Stefan gekauft und es zu einem Kulturzentrum mit Wohnungen renoviert und erweitert.

In der Gemeinde Hinterstoder in Oberösterreich haben Bürgermeister Helmut Wallner und visionäre Bürger-innen und Bürger schon vor 20 Jahren zur Belebung des Ortes auf langsamen Verkehr gesetzt. Damals wurde die gesamte Dorfstraße aufgerissen und neu gestaltet, um den Auto-verkehr zu bremsen und das Ortszentrum schöner und bequemer für das Gehen zu machen.

Velden/Kärnten: In Velden wurde die Bundesstraße durch den Ort zu einem Shared Space-Bereich, um die Gäste nicht zu vergraulen.

Bundesstraße wird Shared Space

„Wenn Wege attraktiv sind, wird gerne zu Fuß gegangen“, weiß Christoph Schwarz vom Atelier für Architektur in Graz. Sein Büro hat sich auf „Shared Spaces“ spezialisiert und stellt fest, dass immer mehr Gemeinden sich dafür interessieren. „Es gibt eine Renaissance der Dorfzentren“, sagt Schwarz. In Ried im Innkreis in Oberösterreich ist seit Ende August 2015 der gesamte Zentrumsbereich Begegnungszone, die größte in Österreich. Entscheidend dafür ist, dass Straße und Gehsteig sich nicht mehr unterscheiden, sondern Auto- und Radfahrende sowie Gehende sich im wahrsten Sinne des Wortes auf einer Ebene begegnen. Eine Einladung zum Gehen, selbst für weniger Mobile, sind auch Sitzgelegenheiten.

Wie wichtig das für einen Ort ist, erkennen immer mehr Menschen. -Othmar Resch, der Direktor des -Casinos im Kärntner Tourismusort Velden, hörte von betuchten Gästen, dass sie gerne öfter kommen würden, aber sie in Velden ja nicht einkaufen könnten. Die Bundesstraße B53 lud mit ihren bis zu 8.000 Fahrzeugen pro Tag, die oft auch noch zu schnell fuhren, tatsächlich nicht zum Flanieren ein. Resch hat sich daraufhin gemeinsam mit anderen Geschäftsleuten für eine Verkehrsverlangsamung eingesetzt. Aus der Idee ist ein 460 Meter langer Shared Space-Bereich entstanden, der Straße, Gehsteige, Plätze und die Vorplätze von Hotels und Geschäften zu einer Verkehrsfläche für alle verbindet. Fast alle Anrainerinnen und Anrainer und – nach einigem Hin und Her – auch das Land Kärnten haben das Projekt unterstützt und sogar mitfinanziert. Nach nur einem Jahr wird bereits davon gesprochen, die gehfreundliche Straßengestaltung um die zirka 300 Meter bis zum Schlosshotel zu verlängern.

 

>> Zur Autorin:
Sonja Bettel ist freie Journalistin. 
http://bettel.at

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