Viele Wege führen zum Fahrrad

Sevilla: Das Fahrradleihsystem „Sevici bike hire“ war ein wesentlicher Baustein, der Sevilla zu einer Fahrradstadt machte.

Auch für Städte ohne große Fahrradtradition ist es möglich, den Radfahranteil kräftig zu erhöhen. Rücksichtnahme auf die jeweiligen städtischen Eigenlogiken, klarer politischer Wille und Geduld sind dafür notwendig.

>> von Bernhard Hachleitner

eit dem Jahr 2005 hat sich der Radfahranteil in Sevilla von einem halben Prozent auf sechs Prozent mehr als verzehnfacht. Wichtigste Maßnahmen waren ein Radwegenetz und das Leihradsystem „Sevici bike hire“. Zwar ist die spanische Stadt immer noch weit von Fahrradstädten wie Kopenhagen oder Amsterdam entfernt. Das Beispiel ist aber umso bemerkenswerter, weil Sevilla auf keine Fahrradtradition zurückgreifen kann. Für Stadt- und Verkehrsplanung in Städten ohne große Radfahrtradition existiert ein gewisses Dilemma, das durchbrochen werden muss: Gibt es kein Bewusstsein für das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel, ist es schwer, gute Radfahrinfrastruktur durchzusetzen. „Einen möglichen Erklärungsansatz bildet das Konzept der Eigenlogik oder des Habitus der Städte“, sagt der Historiker und Kurator des Wien Museums Sándor Békési. „Lokalspezifische Besonderheiten, die sich aus der Geschichte ableiten, beeinflussen das Handeln in Institutionen, aber auch von einzelnen Personen.“ In Wien etwa gehört der Öffentliche Verkehr zum Habitus der Stadt, in Amsterdam dagegen das Radfahren. Auch wenn der Habitus sehr widerständig ist, er ist veränderbar. Er sollte berücksichtigt werden, um für eine Stadt passende Maßnahmen zu entwickeln.

Am Beginn der Veränderung steht sehr oft ein steigendes Bewusstsein für die massiven Nachteile einer auf das Auto zugeschnittenen Verkehrspolitik: Lärm, Abgase und Staus – mit ihren negativen Auswirkungen auf Lebensqualität und Gesundheit. Um den Leidensdruck in positive Veränderungen umzumünzen, sind klarer politischer Wille und Geduld notwendig. Nur so können integrierte, langfristige Konzepte entwickelt und umgesetzt werden. Kopenhagen etwa hat in den 1970er-Jahren begonnen, konsequent auf den Radverkehr zu setzen.

Aktion „Radelt zu Arbeit“: Motivation im Team, Mehr als 14.000 Personen machten im Jahr 2016 mit.

Alltagstaugliches Radwegnetz macht sicher

Das Beispiel Sevilla zeigt: Es muss nicht alles neu erfunden werden. „Sevici bike hire“ ist von Paris inspiriert, bei den Radwegen wurde in die Niederlande geschaut. Es geht um ein Radwegenetz, das den täglichen Mobilitätsbedürfnissen entspricht und ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Die Radwege sind nicht so perfekt, oft schmäler als ihre Vorbilder, aber: „Es gibt ein allgemeines Radfahr-gefühl, das nichts mit Kampf oder Sport zu tun hat, sondern, im niederländischen Stil, eine zutiefst alltägliche Aktivität, eine Art effizienteres Gehen“, schreibt die britische Tageszeitung „The Guardian“. Anders als in englischen Städten seien praktisch keine Radfahrenden mit Warnwesten und Helmen zu sehen. Dieser Vergleich bringt den unterschiedlichen Erfolg von städtischen Radfahrstrategien gut auf den Punkt: Radfahren muss für alle möglich und sicher sein. Das ist wahrscheinlich eine zentrale Lehre für alle Städte. Andere Faktoren werden manchmal überschätzt, etwa das Wetter: Mit 550 Millimeter pro Jahr regnet es in -Wien deutlich weniger als in Amsterdam (780) oder München (966) – Städte mit einem deutlich höheren Radfahranteil.

Mit gezielten Aktionen zum Umsteigen motivieren

Millionenstädte erreichen praktisch nie die ganz hohen Anteile der mittelgroßen Städte, in denen ein paar Hunderttausend Menschen leben. Je größer die Stadt, desto wichtiger wird die Funktion des Fahrrads als Zubringer, etwa zum U-Bahn- oder S-Bahn-Netz. Ein wichtiger Faktor in diesem Zusammenhang sind sichere und leicht zugängliche Abstellanlagen bei den Verkehrsknoten. Während der derzeitigen Sperre der U-Bahnlinie U4 zwischen Hütteldorf und Hietzing bietet die Mobilitätsagentur -Wien einen bewachten Fahrradabstellplatz bei der temporären Endstation an, der bereits an den ersten Tagen gut ausgelastet war. Gleichzeitig wird versucht, zum Umsteigen auf das Fahrrad zu motivieren.

Wie hilfreich gezielte Aktionen sein können, zeigt „Radelt zu Arbeit“. Mehr als 14.000 Personen haben heuer teilgenommen. Aus der Evaluierung durch das AIT Austrian Institute of Technology geht hervor: Etwa ein Fünftel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer fährt nicht regelmäßig Rad. Drei Viertel fahren während des Aktionsmonats öfter. 26 Prozent fahren auch nach der Aktion öfter mit dem Rad. „Die zu gewinnenden Preise und das klar definierte Ziel, zumindest mehr als die Hälfte aller Arbeitstage mit dem Rad zu fahren, sind gute Anreize“, so Alexandra Millonig vom AIT Mobility Department. „Insbesondere Teamgeist sowie die mitreißende Wirkung bereits häufig Rad fahrender (Team-)Kolleginnen und Kollegen ist dabei ein wichtiger Motivator für beginnende Alltagsradlerinnen und -radler.“ Die steigende Zahl von Radfahrenden erhöht auch den Druck auf die politisch Verantwortlichen – und damit die Chance auf entsprechende politische Entscheidungen, die für eine langfristig positive Entwicklung zentral sind.

Alexandra Millonig, AIT: Bei der Aktion „Radelt zu Arbeit“ sind insbesondere Teamgeist sowie die mitreißende Wirkung bereits häufig Rad fahrender (Team-) Kolleginnen und -Kollegen ein wichtiger Motivator für beginnende Alltagsradlerinnen und -radler.

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