VCÖ-Factsheet: Mobilitätsarmut nachhaltig verringern

Bei mangelndem öffentlichen Verkehrsangebot sind Personen, die über kein Auto verfügen, in ihrer Mobilität stark eingeschränkt. Klimaverträgliche Mobilitätsangebote verringern bestehende Mobilitätsarmut und erhöhen die individuelle Freiheit in der Verkehrsmittelwahl.

VCÖ-Factsheet 2018-02 als PDF (1,8MB)

Das heutige Verkehrssystem hat nicht nur eine schlechte Umweltbilanz, sondern weist auch aus sozialer Sicht gravierende Mängel auf. Vor allem in ländlichen Regionen sind größere Bevölkerungsgruppen in ihrer Mobilität stark eingeschränkt. In Ballungsräumen wohnen an stark befahrenen Straßen hauptsächlich Familien mit niedrigem Einkommen. Obwohl viele von ihnen gar kein Auto haben, sind sie besonders stark von den Abgasen und Lärm des Kfz-Verkehrs betroffen. Gleichzeitig profitieren einkommensstarke Haushalte deutlich stärker vom Pendelpauschale und von der steuerlichen Begünstigung der privaten Nutzung von Firmenwagen.

Mobilitätsarmut vor allem im ländlichen Raum

In der Mobilität gibt es ein starkes Stadt–Land Gefälle. Auch in ländlichen Regionen ist die Teilhabe am sozialen Leben und am Arbeitsmarkt ohne eigenes Auto sicher zu stellen. Wesentlichen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten hat die Raum- und Siedlungsstruktur sowie die verfügbare Verkehrsinfrastruktur. Der Ausbau des Öffentlichen Verkehrs in ausreichender Angebotsqualität ist entscheidend. Auch in peripheren Regionen sind viele Alltagswege kurz, weshalb der Ausbau der Rad-Infrastruktur ein wichtiger Beitrag für die Verringerung der Mobilitätsarmut ist.

Mehr als 40 Prozent der Haushalte im unteren Einkommensviertel haben kein Auto. Sie profitieren weder von Begünstigungen für den Pkw-Verkehr, noch würden sie Maßnahmen für mehr Kostenwahrheit im Verkehr treffen.

In Ballungsräumen liegen günstigere Wohnungen häufig an stark befahrenen Straßen. Alle Messstellen, wo im Jahr 2017 in Österreich der Jahresgrenzwert von Stickstoffdioxid überschritten wurde, lagen nahe Straßen mit viel Verkehr. Vielerorts ist auch die Belastung durch Ultra-Feinstaubpartikel hoch. Je kleiner die Feinstaubpartikel, umso gesundheitsschädlicher sind sie. Sie können bis in die Lungenbläschen eindringen und Lungenkrebs verursachen. Während Haushalte mit geringem Einkommen überdurchschnittlich stark von den Abgasen und Lärm des Verkehrs betroffen sind, fahren sie selber deutlich seltener mit dem Auto. In Österreich haben 44 Prozent des unteren Einkommensviertels kein Auto, während im wohlhabendsten Einkommensviertel nur neun Prozent der Haushalte autofrei sind.

Mobilitätsarmut vor allem in den Regionen

Auch in Österreich sind viele Menschen von Mobilitätsarmut betroffen. Das autozentrierte Verkehrssystem führt vor allem in ländlichen Regionen dazu, dass viele Alltagsziele ohne Auto nicht erreicht werden können. Wer kein Auto lenken kann oder kein Auto zur Verfügung hat, ist von Mobilitätsarmut bedroht. Von Mobilitätsarmut Betroffene können beispielsweise Jobangebote nicht annehmen oder Freunde und Verwandte nicht besuchen. Einkäufe für den täglichen Bedarf können nicht erledigt und Freizeitangebote nicht genutzt werden. Sind verschiedene Einrichtungen nur mit dem Pkw erreichbar, sind insbesondere Kinder, Jugendliche und ältere Menschen von Mitfahrgelegenheiten abhängig, um diese Einrichtungen nutzen zu können.

Zersiedelung verstärkt Mobilitätsarmut

Obwohl Haushalte mit niedrigerem Einkommen weniger Belastungen durch Kfz-Verkehr verursachen, sind sie am stärksten davon betroffen.

Verkehrsstrukturen, die sich ausschließlich am Auto orientieren, führen zu vermehrter Zersiedelung. Supermärkte am Ortsrand schwächen den Ortskern und die dortige Nahversorgung. Das verstärkt ungünstige Bedingungen für Radfahren und Gehen als kostensgünstige Mobilitätsformen. In den Großstädten ohne Wien werden rund 20 Prozent der Wege zu Fuß und weitere 13 Prozent mit dem Fahrrad zurückgelegt, während es in den peripheren Regionen nur 15 beziehungsweise sechs Prozent sind. Dabei sind auch in peripheren Regionen die Hälfte der Alltagswege kürzer als fünf Kilometer und damit in Radfahrdistanz. Pro Monat geben Österreichs Haushalte in Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnenden im Schnitt 494 Euro an Kfz-Kosten aus, im Österreich-Schnitt 402 Euro.

Erzwungene Mobilität erhöht Verkehrsaufwand

Ist das öffentliche Verkehrsangebot für ältere Menschen unzureichend oder können Kinder ihre Freunde nicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad besuchen, sind häufig zeitaufwändige Hol- und Bringdienste die Folge. Bei Wohnungssuche oder Hausbau stehen meist Kaufpreis oder Miete im Vordergrund. Die Folgekosten fehlender öffentlicher Verkehrsanbindungen und die dadurch langfristigen erhöhten Mobilitätskosten werden häufig kaum beachtet. Oberösterreich und Salzburg bieten ihrer Bevölkerung einen Mobilitätsrechner an, der die Gesamtkosten von Wohnen und Mobilität für verschiedene Standorte vergleicht.

Personen mit geringem Einkommen fahren wenig Auto, viel mit Öffentlichem Verkehr

Auch in den Regionen ist ein hoher Anteil der Alltagswege in Radfahrdistanz, ein Fünftel sogar in fußläufiger Distanz.

Autofahren ist die teuerste Form der Alltagsmobilität. Entsprechend hat der Öffentliche Verkehr bei Haushalten mit niedrigem Einkommen einen höheren Anteil. Ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz mit häufigen Verbindungen ermöglicht im Vergleich zum Autofahren günstige Mobilität. Umso mehr als in allen Bundesländern Jugendlichen günstige Jahreskarten angeboten werden. In einigen Bundesländern gibt es darüber hinaus auch für Erwachsene kostengünstige Jahresnetzkarten.

Öffentlicher Verkehr sichert Mobilität für alle

Die Bedeutung des Öffentlichen Verkehrs für die ärmeren Haushalte zeigt sich auch am höheren Anteil an den Verkehrsausgaben: Das unterste Einkommenszehntel gibt 1,4 Prozent für den Öffentlichen Verkehr aus, beim höchsten Einkommensdezil ist der Anteil mit 0,7 Prozent nur halb so groß. Die zehn Prozent der Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen, geben im Schnitt nur 6,8 Prozent für Autofahren aus. Der Anteil der Autoausgaben im reichsten Einkommensdezil ist mit 15,6 Prozent zweieinhalb Mal so hoch. Derzeit wird ein Teil der vom Autoverkehr verursachten Kosten, wie beispielsweise Gesundheits- und Umweltschäden nicht vom Verursachenden bezahlt. Der Großteil dieser indirekten Förderung des Autoverkehrs kommt wohlhabenden Haushalten zu Gute.

Radfahren - kostengünstig und gesund

Bei der Suche nach einem geeigneten Wohnstandort werden Mobilitätskosten kaum in die Entscheidung miteinbezogen. Oft rechnen sich höhere Wohnkosten an besser angebundenen Standorten aufgrund reduzierter Mobilitätskosten.

Gehen und Radfahren zeichnen sich durch sehr geringe Kosten aus. Der Gesundheitsnutzen durch zusätzliche Bewegung übersteigt das Gesundheitsrisiko durch Schadstoffe oder Unfälle um ein Vielfaches. Monetär betrachtet verdient die Gesellschaft an jedem mit dem Fahrrad zurückgelegten Kilometer 16 Cent, hauptsächlich bedingt durch den Gesundheitsnutzen. Pro Autokilometer fallen hingegen 15 Cent an gesellschaftlichen Kosten an, unter anderem für Unfälle, Luftverschmutzung oder Lärm. Der steigende Anteil an motorisiertem Verkehr hat indirekt negative Auswirkungen auf bewegungsaktive Mobilität, wenn dadurch Gehen und Radfahren unattraktiv und unsicher werden. In Österreich hat der Anteil an zu Fuß zurückgelegten Wegen vom Jahr 1995 bis 2014 von 27 auf 17 Prozent deutlich abgenommen.

Soziale Gerechtigkeit im Verkehr erhöhen

Unter der Woche sind in Österreich 26 Prozent aller Wege Arbeitswege. Rund 53 Prozent der Erwerbstätigen verlassen zum Arbeiten ihre Wohngemeinde und sind per Definition Pendlerinnen und Pendler. Der Begriff lässt vermuten, dass sie lange Distanzen in die Arbeit zurücklegen müssen. Doch tatsächlich haben 55 Prozent einen Arbeitsweg, der kürzer als zehn Kilometer ist. Viele Pendelwege sind auf ständige Pkw-Verfügbarkeit und öffentliche Verkehrsangebote auf Vollzeitbeschäftigte zugeschnitten. Personen, die nicht jederzeit ein Auto zur Verfügung haben, Teilzeit-Angestellte oder Menschen mit zusätzlichen Betreuungspflichten sind in ihrer Alltagsmobilität oft eingeschränkt. Im Jahr 2014 berichteten in Niederösterreich 49 Prozent der Arbeitsuchenden und 44 Prozent der Frauen, dass sie nicht jederzeit Zugang zu einem Pkw haben.

Bahn- und Busangebot an flexiblere Arbeitszeiten anpassen

Vor allem für Teilzeitkräfte stellen Arbeitswege, die nur mit dem Pkw machbar sind, aufgrund der hohen Pkw-Fixkosten eine große finanzielle Last dar. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat sich österreichweit seit dem Jahr 1994 auf 1,1 Millionen Personen im Jahr 2017 fast verdreifacht. Rund 50 Prozent der Beschäftigten in Österreich haben flexible Arbeitszeiten. Knapp 30 Prozent arbeiten in verschiedenen Wochen an einer unterschiedlichen Anzahl von Tagen. 45 Prozent aller Frauen in Österreich arbeiten darüber hinaus in Teilzeit. Mit einem flächendeckend guten Angebot des Öffentlichen Verkehrs sind die Möglichkeiten zu schaffen, die theoretische Flexibilität der Arbeitszeiten tatsächlich nutzen zu können.

VCÖ-Empfehlungen

Die VCÖ-Publikation „Mobilität als soziale Frage“ stellt die sozialen Aspekte von Mobilität dar und zeigt, wie klimaverträgliche Mobilitätsangebote die soziale Fairness im Verkehr erhöht.

Mobilitätsarmut verringern - Soziale Fairness im Verkehr nachhaltig erhöhen

  • Kompakte Siedlungsentwicklung vorrangig an Achsen des Öffentlichen Verkehrs: Verkehrssparende Siedlungsentwicklung bildet langfristig die Grundlage für eine sozial ausgewogene, leistbare und klimaverträgliche Mobilität

  • Bewegungsaktive Mobilität stärker fördern: Gehen und Radfahren sind kostengünstig, verringern auch die gesellschaftlichen Kosten und sind daher steuerlich stärker zu unterstützen

  • Mobilitätsmanagement forcieren: Betriebe und Unternehmen können mit Mobilitätsmanagement die Mobilitätskosten ihrer Beschäftigten reduzieren.

  • Mehr Teilzeit und Flexibilisierung der Arbeitszeit macht mehr Bahn- und Busverbindungen außerhalb klassischer Pendlerzeiten nötig

  • Linienverkehr durch flexible Mikro-ÖV-Angebote ergänzen
  • In Gebieten mit wachsender Bevölkerungszahl das Angebot an Bahn- und Busverbindungen ausbauen und verstärken

  • Infrastruktur für Radverkehr in den Regionen ausbauen: Auch in den Regionen sind viele Wege kürzer als fünf Kilometer. Gute Infrastruktur für den Radverkehr verringert die Mobilitätskosten

„Klimaverträgliche Mobilitätsangebote machen das Verkehrssystem auch sozial gerechter. Gehen, Radfahren und Öffentlicher Verkehr tragen dazu bei, unabhängig von Alter, Gesundheit oder finanzieller Lage mobil sein zu können.“
Mag. Markus Gansterer, VCÖ-Verkehrspolitik

VCÖ-Factsheet 2018-02 als PDF(1,8MB)

Die ausführliche VCÖ-Publikation "Transformation von Mobilität und Transport unterstützen" im Wert von 30 Euro können Sie hier kostenlos downloaden. Die Printversion und weitere VCÖ-Publikationen (kostenlos als PDF und kostenpflichtig in Print) finden Sie im Online-Shop des VCÖ

Impressum:

Impressum: VCÖ, Bräuhausgasse 7–9, 1050 Wien, T +43-(0)1-893 26 97, E vcoe@vcoe.at, www.vcoe.at
Fotos: Manuela Tippl (Fotos von shutterstock.com, Seite 1), VCÖ (Seite 4)

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