VCÖ-Factsheet: Nachhaltige Vergaben im Öffentlichen Verkehr

Der Wettbewerb bei öffentlichen Verkehrsdiensten nimmt zu. Mittlerweile vergeben die meisten Verkehrsverbünde ihre Aufträge im Busverkehr mittels Ausschreibungen. Hohe Qualität für die Fahrgäste braucht soziale Standards für die Beschäftigten.

VCÖ-Factsheet 2016-04 als PDF (563KB)

Öffentliche Verkehrsleistungen werden zu einem großen Teil öffentlich finanziert. Besonders im Busbereich werden traditionelle Tarifbestellungen oder Direktvergaben an ortsansässige Betriebe derzeit durch Ausschreibungen abgelöst. Die EU erwartet sich niedrigere Kosten für die Bestellenden und verbesserte Qualität. Eine verbesserte Qualität ist aber nur erreichbar, wenn die Bedürfnisse der Fahrgäste im Mittelpunkt stehen und nicht auf Kosten der Beschäftigten gespart wird. Das Einfordern von -Qualitäts- und Sozialstandards für Aufträge im -Öffentlichen Verkehr ist in Österreich rechtlich zu verankern. Das EU-Recht ermöglicht das.

Für Fahrgäste ist ein motiviertes und serviceorientiertes Personal wichtig.

Bestbieter-Prinzip für Bus und Bahn

Ziel sollte sein, dass für das Gesamtsystem – Fahrgäste, Öffentliche Hand und Verkehrsunternehmen – größtmöglicher Nutzen entsteht. Auch im Interesse der Fahrgäste sind Auftragsvergaben rechtlich so zu gestalten, dass diese nicht hauptsächlich aufgrund niedriger Personalkosten entschieden werden. Das EU-Recht bietet den nötigen Spielraum, um das Bestbieter-Prinzip auch für den Öffentlichen Verkehr gesetzlich zu verankern. Es ist Rechtssicherheit hinsichtlich sozialer und ökologischer Kriterien über das selbstverständliche Einhalten von Gesetzen und Kollektivverträgen hinaus herzustellen.

In Österreich wurden im Jahr 2014 mit der Bahn rund 278 Millionen Fahrgäste transportiert und im Bus-Linienverkehr rund 669 Millionen. Aus Fahrgastsicht soll der Öffentliche Verkehr so einfach wie möglich zu benutzen sein, mit optimaler Abstimmung der einzelnen Verkehrsmittel und Linien, hoher Qualität sowie durchgehendem Informationsangebot und Service. Die dahinter liegende Organisation ist für Fahrgäste zweitrangig, nicht jedoch die Arbeitsbedingungen für jene, die für Servicequalität und Sicherheit verantwortlich sind.

Verkehrsdienstleistungen sind besonders beschäftigungsintensiv. Deshalb und aufgrund der Fixkosten für Fahrzeuge und Treibstoff sind Personalkosten im Preiswettbewerb die größte Stellschraube.

Qualitätskriterien und Sozialstandards regeln

Werden Aufträge im Öffentlichen Verkehr an Billigst-bietende vergeben und fehlen Sozialkriterien, kann das zu Einsparungen beim Personal und damit zu niedrigerer Qualifikation und schlechteren -Arbeitsbedingungen führen. Die Qualität der Dienstleistung sinkt.

Durch die europarechtliche PSO-Verordnung -(Public Service Obligations) unterliegen viele öffentliche Verkehrsleistungen, die über einem Schwellenwert liegen oder nicht vom hauseigenen Verkehrsbetrieb erbracht werden, der Ausschreibungspflicht. Dadurch ist der öffentliche Verkehrsmarkt vor allem im Busbereich im Umbruch. Noch aber fehlen in Österreich einheitliche Standards für Umwelt-, -Qualitäts- und Sozialkriterien.

Für Fälle, in denen öffentliche Verkehrsleistungen im Ausschreibungswettbewerb vergeben werden, ist der Spielraum, den das Unionsrecht ermöglicht, in Österreich rechtlich zu verankern. Es braucht eine verbindliche und rechtssichere Grundlage, um bei Auftragsvergaben hohe Qualität für die Fahrgäste besser gewährleisten und mögliche Nachteile für die Beschäftigten der Verkehrsunternehmen verhindern zu können. Vergaben werden von den Unterlegenen häufig aus rechtlichen Gründen angefochten. Das Bemühen um eine „wasserdichte“ Ausschreibung schränkt den Gestaltungsspielraum der bestellenden Organisationen ein. Daher sollte durch den Gesetzgeber Rechtssicherheit hergestellt werden, welche Qualitäts- und Sozialkriterien verpflichtend oder möglich sein sollen.

Das Verkehrsministerium (bmvit) hat einen Katalog an Sozial- und Qualitätskriterien für die Vergabe von Busverkehrsleistungen als Empfehlung veröffentlicht. Darin wird festgestellt, dass im Rahmen des Sachlichkeitsgebots ein großer Gestaltungsspielraum besteht hinsichtlich Qualitätskriterien, ökologischer und sozialer Kriterien sowie sonstige beschäftigungspolitische Überlegungen.

Mögliche Kriterien sind zum Beispiel:

Qualität, wie besondere Fahrgastinformationen, Sprachnachweise, Weiterbildung.

Soziales, wie Lehrlingsausbildung, Beschäftigung von Personen mit besonderen Bedürfnissen oder mit langer Berufserfahrung.

Umwelt und Barrierefreiheit, wie Übererfüllung der technischen Mindestanforderungen hinsichtlich Schadstoffausstoß oder Fahrzeugausstattung.

Auf der Schiene zeigte sich bei der Vergabe von Verkehrsleistungen mittels Ausschreibungen in Deutschland ein Rückgang der bietenden Unternehmen.

Lohndumping verschlechtert Qualität

Sozialkriterien wie Weiterbildungsmaßnahmen, Lohnanreize, die der Qualität dienen, Lehrlingsausbildung oder die Förderung älterer Beschäftigter kommen auch den Fahrgästen zugute. Weitere wichtige Sozialkriterien für die Qualität sind etwa Berufserfahrung des Personals, geringe Fluktuation und gute Dienstpläne.

Die Personalkosten machen für Busunternehmen rund die Hälfte der Gesamtkosten aus und sind damit für die wichtigste Stellschraube im Wettbewerb. Unternehmen, die mehr bezahlen als das kollektivvertragliche Minimum, die mit Zusatzvereinbarungen oder Prämien arbeiten, oder die viele langjährige Beschäftigte haben, sind bei einem reinen Billigstbieter-Prinzip im Nachteil.

Gewinnt ein Unternehmen aufgrund niedrig angesetzter Personalkosten, kommen neu einzuarbeitende Beschäftigte zum Einsatz. Oder die bisherigen Beschäftigten müssen beim neuen Unternehmen die-selbe Arbeit zu schlechteren Konditionen erledigen. 

Um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen, ist die Anzahl der Fahrgäste im Öffentlichen Verkehr zu erhöhen. Das ist nur mit hoher Qualität möglich.

Verpflichtung zur Personalübernahme rechtlich möglich und in etlichen EU-Staaten üblich

Die PSO-Verordnung sieht vor, dass die zuständige Behörde den Bestbietenden dazu verpflichten kann, den bisherigen Beschäftigten jene Rechte anzubieten, auf die sie im Falle eines Betriebsüberganges Anspruch gehabt hätten. Damit sollen Lohndumping verhindert und die Weiterbeschäftigung gesichert werden. Das neue Verkehrsunternehmen verfügt dadurch über Personal, das mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut ist und keine Qualitätsverluste für die Fahrgäste bringt. Zudem erspart sich das Busunternehmen Kosten für die Einarbeitung und für Schulungen. Das unterlegene Unternehmen ist von Personalkosten entlastet.

In Österreich gibt es keine rechtlichen Regelungen zu einem verpflichtenden Angebot für einen Personalübergang. Bei einer funktionalen Ausschreibung in Kärnten war eine solche bereits vorgegeben, wurde aber aufgrund des Ergebnisses nicht schlagend.

In Schweden ist eine Personalübernahme gängige Praxis. Im Busverkehr von Liechtenstein kommt es seit dem Jahr 2011 zu Personalübergängen. Im deutschen Bundesland Sachsen-Anhalt wurde im Jahr 2012 gesetzlich klargestellt, dass die ausgewählten Betreiber dazu verpflichten werden können, die Beschäftigten zu deren bisherigen Arbeitsbedingungen zu übernehmen. Für Österreich ist wünschenswert, dass beauftragte Unternehmen automatisch dazu verpflichtet sind und die Beschäftigten die Wahl -haben, das Angebot anzunehmen oder nicht.

Qualitätskriterien sowie soziale und ökologische Kriterien über Mindeststandards hinaus können bereits auf allen Ebenen des Auswahlprozesses angewandt werden.

Anreize für zufriedene Fahrgäste schaffen

Auftragsvergaben im Busverkehr erfolgen immer häufiger mittels Ausschreibungen und bisher vor allem über Brutto-Verträge. Dabei werden detaillierte Fahrpläne vorgegeben und die Busunternehmen erhalten ihre Kilometerleistung abgegolten. Damit fehlen Anreize, sich für Kundengewinnung und Zufriedenheit der Fahrgäste einzusetzen. Neben -Pönalen für Nicht-Einhaltung von Qualitätskriterien sollten Bonussysteme verankert werden.

Bei Netto-Verträgen verbleiben die Fahrschein-Einnahmen beim Busunternehmen und bilden einen direkten Anreiz, sich um mehr Fahrgäste zu bemühen. Bei einer funktionalen Ausschreibung liegt die Planungskompetenz für ein definiertes Gebiet beim Busunternehmen. Es werden lediglich Rahmenbedingungen und Mindeststandards vorgegeben. Es kommt jenes Konzept zum Zug, das mit dem geringsten Zuschuss den größten Gesamtnutzen verspricht.

In Schweden führte die Ausschreibung von Busverkehren – anders als etwa in Frankreich – zu stark reduzierten Kosten. Jedoch, wenn ausschließlich über den Preis entschieden wurde, kann es auch zu Verlusten und schlechteren Arbeitsbedingungen. Für die Busunternehmen wurde das Einhalten der strikten Vertragsvorgaben wichtiger als Fahrgastinteressen oder Ideen zur Angebotsverbesserung. Den Markt teilen sich heute wenige große Unternehmen.

Für eine hohe Zufriedenheit der Fahrgäste ist es wichtig, dass Ausschreibungen nach dem Bestbieter-Prinzip entschieden werden.

Qualitäts- und Sozialkriterien verankern

Damit die Fahrgäste mehr Angebot und optimale Qualität in Bus und Bahn erhalten, sind mit der Durchführung von öffentlichen Verkehren jene Unternehmen zu beauftragen, die die besten Angebote gelegt haben. Dazu sind nicht bloße Mindeststandards für Billigstbieter zu definieren, sondern Zuschlagskriterien entlang von Qualitäts- und Sozialfaktoren hoch zu gewichten.

Im Fall von Ausschreibungen dürfen enge Vertragsvorgaben und Pönalen für die Busunternehmen nicht dazu führen, dass etwa eine pünktliche Abfahrt wichtiger ist als das Abwarten eines Zuges. Verträge sollten Spielraum ermöglichen, im laufenden Betrieb in Abstimmung mit dem Bestellenden Anpassungen oder Verbesserungen im Sinne der Fahrgäste umzusetzen. 

Nicht das billigste, sondern das beste Angebot soll zum Zug kommen

Es braucht jedenfalls Anreize, damit es sich für Verkehrsunternehmen wirtschaftlich lohnt, sich um Qualität und Fahrgäste zu bemühen.

Für die Fahrgäste sind das Fahrplanangebot mit dichtem Takt, Pünktlichkeit und gute Anschluss-verbindungen am wichtigsten. Neben der Anzahl der Verbindungen sind aktive Information und gut geschultes Personal zentral. Verpflichtende Sozial- und Qualitätskriterien wie Weiterbildung, Kenntnisse der Region oder Förderung von Frauen und älteren Beschäftigen sind zu verankern und im Auswahl-prozess hoch zu bewerten.

Um langwierige und kostspielige Anfechtungen von Auftragsvergaben zu vermeiden, sollte der Spielraum, den das Unionsrecht lässt, explizit in Österreichs Gesetzen konkretisiert werden. Denn ohne mehr Rechtssicherheit werden Qualitäts- und Sozialkriterien von Bestellerseite zu wenig angewandt. 

VCÖ-Empfehlungen

Bestbieter-Prinzip wie im Baubereich gesetzlich verankern 

Verbindliche Qualitäts- und Sozialstandards über selbstverständlich einzuhaltende Gesetze und Kollektivverträge hinaus als Auftragskriterien, nicht nur als Mindeststandards. Vorbild kann der vom Verkehrsministerium vorgeschlagene Leitfaden sein. Das Unionsrecht ermöglicht die Anwendung von Qualitätskriterien und Sozialstandards (z. B. Aus- und Weiterbildung, Lehrlingsausbildung, Förderung älterer Beschäftigter und Frauen). 

Sozialdumping verhindern

Bei einem Betreiberwechsel ist dem bisherigen Personal verpflichtend ein Angebot zum Wechsel zu den bisherigen Konditionen zu machen, das die Beschäftigten annehmen oder ablehnen können. Die unionsrechtlich mögliche Verpflichtung zum Personalübergang im Busbereich ist als gesetzliche Muss-Bestimmung im Vergaberecht oder in den Materien-gesetzen (ÖPNRV-G bzw. Kraftfahrliniengesetz) zu verankern. 

Spielraum für höhere Qualitäts- und Sozialkriterien nutzen

Das Unionsrecht ermöglicht bereits heute das Einfordern von Qualitäts- und Sozialstandards bei Aufträgen für öffentliche Verkehrsleistungen. Für eine bessere Anwendbarkeit in der Praxis ist der Rechtsrahmen für Vergaben in Österreich anzupassen. 

>>„Der Öffentliche Verkehr soll aus Fahrgastsicht so organisiert sein, dass er möglichst nahtlos funktioniert und flexibel auf Veränderungen reagieren kann. Geringere Kosten dürfen nicht durch Sozial-dumping erreicht werden. Denn darunter leidet auch die Qualität für die Fahrgäste.“<<

- Mag. Markus Gansterer, VCÖ-Verkehrspolitik

 

>> Quellen: 

VCÖ-Hintergrundbericht „Organisation des regionalen Busverkehrs – Status quo und Effekte von Ausschreibungen“;
Statistik Austria 2016;
bmvit-Leitfaden: Qualitätskriterien soziale und ökologische Kriterien bei der Vergabe von Busverkehrsdienstleistungen;
PSR-Institut: Die Organisation des SPNV und Kraftfahrlinienpersonenverkehrs in Österreich, ausgewählten EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz, 2013

VCÖ-Factsheet 2016-04 als PDF (563KB)

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