„Tiefgaragen machen Wohnen teuer“

Langfassung des VCÖ-Magazin Interviews

Das VCÖ-Magazin sprach mit Angelika Fitz, Direktorin des Architekturzentrum Wien, über den Beitrag von Architektur zum guten Leben, was das Wohnen teuer macht und wie das Bestehende besser genutzt werden kann.

VCÖ-Magazin: Sie weisen immer wieder darauf hin, dass es einen viel stärkeren Zusammenhang zwischen urbanem Leben, Stadtgesellschaft und Architektur gibt als den meisten von uns bewusst ist. Wo sehen Sie diesen Zusammenhang, beziehungsweise  mangelndes Bewusstsein dafür?

„Architektur und auch Stadtplanung müssen ein gutes Leben ermöglichen.“

Angelika Fitz: Wir verbringen den Großteil unserer Lebenszeit in Architektur. Es macht einen Unterschied, ob sie gut oder schlecht ist. Es geht darum, dass Architektur und auch Stadtplanung im besten Fall ein gutes Leben ermöglichen. Dazu gehört das Haushalten mit Ressourcen, eine gebaute Verteilungsgerechtigkeit und auch, wie wir künftig mit kultureller Diversität umgehen werden, vor allem in den Städten. Wo viele Nationalitäten zusammen leben, wird es immer weniger wichtig, welcher Nation wir angehören, sondern in welcher Stadt wir gemeinsam wohnen – in Zukunft wird vielleicht Stadtbürger- und Stadtbürgerinnenschaft wichtiger werden als Nationalbürger- und Nationalbürgerinnenschaft. Da ist die Frage, wie zeigt sich das räumlich, wie schaffen wir es, dass Leute auch tatsächlich aktiv teilnehmen können am Leben der Stadt.

VCÖ-Magazin: Wie ist leistbares und qualitätsvolles Wohnen für alle möglich, angesichts der wachsenden Städte, bei stagnierenden Einkommen?

„Wichtig wäre, bestehende Regulatorien zu hinterfragen.“

Angelika Fitz: Das betrifft Fragen von Bodenpreisen, Bodenverbrauch, Aktivierung von Bauland, Umgang mit Leerstand. Zentral ist der Bodenpreis und ähnlich große Auswirkung hat nach welchen Standards und Regularien wir bauen, bauen müssen. Ist das auch wirklich alles notwendig? Zur Zeit lautet die Devise: Wir bauen kleinere Wohnungen. Wichtig wäre, auch bestehende Regulatorien zu hinterfragen. Die Stellplatzverpflichtung ist da eines von vielen Themen – Tiefgaragen machen Wohnen teuer. Oder Fragen des Brandschutzes – braucht es etwa automatische Brandrauchentlüfter, die auch hohe Betriebskosten nach sich ziehen, oder beim Lärmschutz. Wir wollen Ende des Jahres in der Ausstellung „Form folgt Paragraph“ diskutieren, welche Regeln wichtig sind, weil sie unser Leben und unser Zusammenleben schützen, und welche widersprüchlich sind. Welche Regulatorien sind vielleicht Ausdruck von Partikularinteressen, oder Ausdruck einer Art gesellschaftlichen Vollkasko-Mentalität, die sich breit gemacht hat. Der Ruf nach Haftung kommt heute viel schneller, wenn etwas passiert. Wofür wollen wir überhaupt noch selber Verantwortung übernehmen?

VCÖ-Magazin: Viele der neueren Wohnsiedlungen wurden so gebaut, dass sie der Straße den Rücken zukehren, mit den Fenstern auf der straßenabgewandten Seite. Wie soll Architektur auf unseren stark autodominierten Verkehr reagieren?

„Dass der ruhende Verkehr ganz stark den Flächenverbrauch in der Stadt bestimmt, ist eigentlich unfassbar.“

Angelika Fitz: Wie sich die Wohnbauten zur Straße verhalten, ist ein ganz wichtiger Punkt. Das hängt wieder damit zusammen, ob Quartiere oder nur einzelne Gebäude und Siedlungen gebaut werden. Wie kann bauplatzübergreifend gedacht werden und muss wirklich überall die Straße bis vor die Haustür führen, muss jedes Haus eine eigene Garage haben? Bis vor ein paar Jahren war es in Wien nicht erlaubt, in neuen Gebäuden Balkone zur Straße zu bauen. Es sollte nicht das Auto sein, das alles bestimmen kann in Bezug auf Platzverbrauch oder Emissionen. Es ist ganz wichtig von der Architektur her zu signalisieren, dass die Straße sich anders verhalten muss. Auch die Tatsache, dass der Flächenverbrauch in der Stadt ganz stark vom ruhenden Verkehr bestimmt wird, ist eigentlich unfassbar. Zu welch´ geringen Preis Autos Flächen nutzen dürfen und was Menschen bezahlen müssen, um zum Wohnen oder für andere Aktivitäten Flächen zu nutzen – das ist etwas Grundsätzliches.

VCÖ-Magazin: Mit Ressourcen sorgsam umzugehen, ist Inhalt von zwei aktuellen Ausstellungen des Architekturzentrum Wien.

„Es ergeben sich ganz viele spannende, ungewohnte Themen, wenn das Bestehende einbezogen wird.“

Angelika Fitz: Ja, sowohl bei der Ausstellung „Assemble. Wie wir bauen“ im Museumsquartier als auch beim Projekt „Care + Repair“ am Nordbahnhof-Gelände, wo ein neuer Stadtteil entstehen wird. Ziel des Masterplans ist dort, dass möglichst viel von der naturbelassenen Gstetten in der Mitte erhalten bleibt. Es entstehen ganz viele spannende, ungewohnte Themen, wenn das Bestehende aktiv einbezogen wird. Das wollen wir unterstützen. Gemeinsam mit der TU Wien, den Bauträgern und anderen entwickeln wir vor Ort ein produktives Zentrum für Ideen, Projekte und Veranstaltungen. Da gibt es den denkmalgeschützten Wasserturm und rundherum eine alte über 2000 m2 große Lagerhalle, die eigentlich abgerissen werden soll, aber jetzt noch für unsere Aktivitäten erhalten bleibt. Da wird es eine offene Werkstatt geben, einen Co-Working-Space, einen multifunktionalen Veranstaltungsraum und die Möglichkeiten neue Geschäftsideen auszuprobieren, sei es handwerklich, technologisch oder in der Wissensarbeit. Während rundherum die neue Stadt wächst, können die neuen Ideen und Projekte in die Umgebung diffundieren. Als Auftakt lade ich gemeinsam mit meiner Kokuratorin Elke Krasny sechs internationale Architekturbüros zum Thema Care + Repair ein, die mit Initiativen vor Ort Projekte entwickeln. Etwa ein Team aus Griechenland, das sich stark mit Natur und Stadt auseinandersetzt, ein Team aus Brüssel, das sich mit Materialkreisläufen und Recycling beschäftigt.

VCÖ-Magazin: Sie sprechen in dem Zusammenhang davon, dass die Zukunft repariert werden muss – wie ist das zu verstehen?

„Die Zukunft muss repariert werden

Angelika Fitz: „Die Zukunft muss repariert werden“ ist natürlich ein Paradoxon. Dieser Satz ist der Leitsatz für Care & Repair, und will sagen, ein anderes Denken und Handeln zu versuchen. Die Zukunft in der Architektur und Stadtentwicklung nicht länger im Modus „alles neu“ denken, sondern mit dem, was wir jetzt schon wissen, wissen könnten, lernen und mitnehmen könnten, ganz viel mit Vorhandenem arbeiten. Da geht es oft nicht um die große Neuerfindung, sondern um ein paar kleine Stellschrauben, damit die Zukunft besser wird, repariert wird. Sorgetragen und Reparieren sind, wie Architektur und Urbanismus, konkrete Aktivitäten. Sie werden an konkreten Orten wirksam. Aus diesem Grund überschreiten wir mit dem Architekturzentrum Wien die Mauern des MuseumsQuartiers und eröffnen einen öffentlichen Arbeitsraum direkt im Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnhof.

VCÖ-Magazin: Auch im Verkehrsbereich läuft, ausgelöst durch die wachsenden Städte und neue technische Entwicklungen wie das autonome Fahren, die Debatte, wie ist eine Infrastruktur zu bauen, die auch in 20, 30 Jahren noch Gültigkeit hat.

„Einfache Lösungen oder high-tech – es kann nicht gesagt werden, welcher sich durchsetzt oder ob es immer beide parallel geben wird.“

Angelika Fitz: In der Architektur gibt es die Debatte zwischen low tech und high tech. Etwa was die Energieeffizienz betrifft, als Teil des Haushaltens mit Ressourcen. Da sagen manche, wir arbeiten mit low tech-Materialien, mit dicken Ziegelwänden, intelligent belüftet, auf Sonne und Schatten ausgerichtet, sodass es gar keine Technik braucht, und andere rüsten das technisch hoch und arbeiten mit automatischer Wohnraumentlüftung und tausend technischen Finessen. Es gibt zur Zeit beide Konzepte, die auch in gewissem Sinn konkurrieren. Beim Thema Mobilität scheint es mir ähnlich zu sein. Ich kann das mit Lastenrädern und einfachen Technologien denken oder ich kann es in hoch automatisierten high-tech-Systemen denken, wo alles technisch optimiert wird. Das sind zwei grundunterschiedliche Ansätze, wo nicht gesagt werden kann, welcher sich durchsetzt oder ob es immer beide parallel geben wird – und muss.

VCÖ-Magazin: Sie treten für eine Mehrwertabgabe bei Widmungen ein -   worum geht es da?

„Bei der Mehrwertabgabe bekommt die Hälfte der Grundstückswertsteigerung die öffentliche Hand.“

Angelika Fitz: Wird die Flächenwidmung geändert, steigt der Grundstückswert oft ungemein. In Basel gibt es seit den 1970er Jahren die Mehrwertabgabe - die Hälfte der Wertsteigerung bekommt die öffentliche Hand, zweckgewidmet für die Gestaltung des öffentlichen Raums, etwa den Bau von Parks. Dort kann ganz anders über öffentliche Bauvorhaben diskutieren werden. Wenn da ein Hochhaus geplant ist, wird auch öffentlich gemacht, wieviel Geld das in die Kassa spült und abgestimmt, wollt ihr das Hochhaus zu diesem Tarif oder nicht? In Wien gibt es seit kurzem zumindest städtebauliche Verträge, wo festgelegt wird, dass der Investor etwa eine Schule oder einen Kinderspielplatz mitfinanzieren muss. Aber das ist immer Verhandlungssache im Einzelfall. Das Schweizer Modell ist für beide Seiten transparenter und die Stadt verwendet das Geld unabhängig vom aktuellen Bauprojekt dort, wo es benötigt wird. Das wäre gesetzlich auf Bundesebene zu regeln. Ich sage das seit Jahren und höre nicht auf, das zu sagen.

Das Gespräch führte Christian Höller, Redakteur des VCÖ-Magazin.

Angelika Fitz ist seit Anfang 2017 Direktorin des Architekturzentrum Wien. Davor arbeitete sie als Autorin und Kuratorin zu Architektur, Stadt und Krise. Das aktuelle Projekt „Care + Repair“ am Wiener Nordbahngelände ist ab 21. Juni täglich bei freiem Eintritt geöffnet. Die Ausstellung „Assemble. Wie wir bauen“ ist noch bis 11. September im Az W im Wiener Museumsquartier zu sehen.

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