Öffentlicher Verkehr

So macht Mobilität wachsende Städte lebenswert

In beide Richtungen hat die Straßenbahn in der Papiermühlestraße in Bern als „Pulkführerin“ im Mischverkehr freie Fahrt vor den Autos, die nicht vorfahren können. Der Mehrzweckstreifen in der Straßenmitte erleichtert sicheres Queren zu Fuß.

Um den Mobilitätsanforderungen in den wachsenden urbanen Räumen gerecht werden zu können, braucht es den Öffentlichen Verkehr als Rückgrat. Schaffen kann er das in nahtloser Verbindung mit anderen Mobilitätsformen wie Gehen und Radfahren.

Für die Mobilität in Städten gibt es in Zukunft keine andere sinnvolle Option als die Verlagerung von Wegen auf den Öffentlichen Verkehr“, ist Stephan Rammler, Mobilitätsforscher am Institut für Transportation Design in Braunschweig, überzeugt. Nur der Öffentliche Verkehr sei flächeneffizient und leistungsfähig genug, um die wachsenden urbanen Mobilitätsbedürfnisse befriedigen zu können. So soll der Öffentliche Verkehr als starkes Rückgrat dienen, das jedoch nur in nahtloser Verbindung mit anderen Mobilitätsformen seine Funktion erfüllen kann. Unverzichtbar bleiben dabei das Gehen und Radfahren. Das Auto soll das Angebot in veränderter, zukunftsfähiger Form punktuell ergänzen. Ob automatisiert fahrend, als Leihauto oder Fahrservice – zunehmend werde sich die Nutzung vom Besitz entkoppeln, prognostiziert Rammler. Modelle wie Car2Go, wo das nächstgelegene Auto der Flotte bis zu 30 Minuten im Voraus gemietet, mittels Smartphone entriegelt und auf einem beliebigen Parkplatz zurückgelassen werden kann, sind Vorboten dieses neuen Zeitalters. Den Betrieb solcher Flotten – wie bei Car2Go von Daimler oder DriveNow von BMW – können Autokonzerne übernehmen, aber auch Verkehrsbetriebe. Neue Siedlungsprojekte wiederum müssen konsequent für einen Lebensstil möglichst ohne privates Auto konzipiert werden – wie bei der Seestadt Aspern in Wien oder bei der geplanten Bebauung der Reininghausgründe in Graz. Priorität haben die von Anfang an mitgeplante Anbindung an den Öffentlichen Verkehr, die Versorgung mit Rad- und Gehwegnetzen sowie weitere Mobilitätsangebote wie Fahrrad- und Transportfahrrad-Verleihe.

Leihrad mittels Card: Mit der SeestadtCARD können an den über das Gebiet verteilten Stationen Fahrräder entlehnt werden.

Vorfahrt für den Öffentlichen Verkehr

Stephan Rammler Mobilitätsforscher und Professor am Institut für Transportation Design in Braunschweig „Nur der Öffentliche Verkehr ist flächeneffizient und leistungsfähig genug, um die wachsenden urbanen Mobilitätsbedürfnisse befriedigen zu können.“

Die Trennung vom Auto ist für viele eine höchst emotionale Angelegenheit. „Wichtig sind sowohl Push- als auch Pull-Maßnahmen, wobei ein schrittweises Vorgehen meist erfolgreicher sein wird, als mit dem Kopf durch die Wand zu wollen“, erklärt der Schweizer Verkehrsplaner Fritz Kobi, früherer Kreisoberingenieur für Bern. „Einerseits müssen die Mobilitätsbedürfnisse mit Fokus auf den Öffentlichen Verkehr, Radfahren und Gehen gewährleistet sein, andererseits ist das Parkplatzangebot am Wohnort wie am Arbeitsplatz möglichst gering zu halten.“ Kobis Formel für den Öffentlichen Verkehr: „Der Öffentliche Verkehr steht nicht im Stau.“ Erst dann kann er mit Verlässlichkeit und angemessenen Reisezeiten punkten. „Dazu braucht es“, so Kobi, „geschickte Verkehrs-, Betriebs- und Gestaltungskonzepte“. Der Verkehrs planer empfiehlt das „Abwechseln von Eigentrasse und Mischverkehr“, wie es in Bern West bereits mehrmals umgesetzt wurde. Dazu gehören Kap-Haltestellen ,also vorgezogene Gehsteige, für die Straßenbahn sowie Fahrbahnhaltestellen – keine Buchten – für den Bus. Der Autoverkehr kann so nicht vorfahren und die Straßenbahn verschafft sich bis zur nächsten Haltestelle freie Fahrt. Doch Kobi warnt: „Es soll nicht die Dominanz des Autos lediglich durch eine neue Dominanz des Öffentlichen Verkehrs abgelöst werden.“ Dazu seien ortsgerechte Maßnahmen, möglichst mittels partizipativer Prozesse, zu entwickeln. In Graz, wo die Straßenbahnen bei fast allen Ampeln eine Vorrangschaltung bekommen haben, wird ebenso auf den Austausch mit der Bevölkerung gesetzt. „Die Graz Linien sind beim Kommunikationsbedürfnis der Anrainerinnen und Anrainer zunehmend gefordert“, so Barbara Muhr, Vorstandsdirektorin für Mobilität und Freizeit der Holding Graz. „Dies betrifft vor allem Maßnahmen, bei denen etwa Abbiegeverbote oder Halteverbote eingerichtet werden sollen. Hier hat die zeitgerechte Information für Anrainerinnen und Anrainer und Fahrgäste hohe Priorität im täglichen Betrieb.“ Gemeinsam mit der Stadt Graz entwickelt die Holding den „Masterplan Öffentlicher Verkehr“, um den Öffentlichen Verkehr optimal mit der Stadt mitwachsen zu lassen. „Ich hoffe, dass im Masterplan Öffentlicher Verkehr auch in großem Ausmaß Ampel-Vorrangschaltungen für Busse kommen – insbesondere für Busse aus dem Umland“, betont Karl-Heinz Posch, Geschäftsführer der Forschungsgesellschaft Mobilität (FGM). Vom Jahr 2007 bis 2017 stieg in Graz das jährliche Fahrgastaufkommen von 92,7 auf rund 117 Millionen.

Attraktiv nur durch gut verbundene Teilsysteme

Fritz Kobi Verkehrsplaner in der Schweiz „Die Formel für den Öffentlichen Verkehr muss lauten: ‚Der Öffentliche Verkehr steht nicht im Stau.‘ Erst dann kann er mit Verlässlichkeit und angemessenen Reisezeiten punkten.“

Soll der Öffentliche Verkehr in den Köpfen der Nutzenden klar die erste Wahl sein, muss er in jeder Hinsicht bequem zu erreichen sein. Eine entscheidende Verbesserungsmöglichkeit liegt in der Digitalisierung: „Der Öffentliche Verkehr hat ein Attraktivitätsproblem durch seine Teilsysteme. Routenplanung, Ticketing, Buchung und Bezahlung müssen in Zukunft via Smartphone über eine einzige App zugänglich sein“, fordert Rammler und nennt „WienMobil“, das aus dem Forschungsprojekt „Smile“ entstanden ist, sowie „Switchh“ in Hamburg als Vorzeigeprojekte. „Die technologischen Voraussetzungen für intermodale Vernetzung sind vorhanden – ihrer flächendeckenden Umsetzung stehen noch juristisch-politische, aber auch mentale Hindernisse im Weg.“ Generell aber sei, so Rammler, nicht der Öffentliche Verkehr zu unattraktiv, sondern die Alternative Auto nach wie vor zu verlockend. Würden endlich die auf die Gesellschaft abgewälzten Kosten für Platzbedarf sowie Umwelt- und Gesundheitsschäden des Pkw-Fahrens internalisiert, hätte der Öffentliche Verkehr bessere Chancen, das zentrale Rückgrat des urbanen Verkehrs zu bilden.

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