Immer öfter anders mobil

Frauen in Fahrt: In Kursen lernen erwachsene Anfängerinnen – insbesondere Migrantinnen – das Radfahren.

Um auf andere Mobilitätsmöglichkeiten zu kommen, ist es nötig, sie zu kennen und zu können. Kurse und attraktive Angebote erweitern das Mobilitätsportfolio von immer mehr Menschen.

>>Von Ursula Jungmeier-Scholz

Nicht immer, aber immer öfter – so lautete dereinst ein Werbespruch für alkoholfreies Bier. Diese Devise kann Menschen auch Mobilitätsangebote schmackhaft machen: Eingefahrene Gewohnheiten müssen nicht gleich aufgegeben werden, sondern werden vorerst lediglich um eine Alternative erweitert. In Städten lässt sich das Mobilitätsportfolio leichter vergrößern, weil das Mobilitätsangebot vielfältiger ist: Der Öffentliche Verkehr ist zumeist gut ausgebaut, ebenso das Rad- und Gehwegenetz. Städte, die durch ihre hohe Bevölkerungsdichte eine zentrale Rolle beim Klimawandel spielen, können so wesentlich zum Klimaschutz beitragen. Es geht darum, Hemmschwellen abzubauen. Als Anstoß dazu kann beispielsweise ein „Mobilitätszuckerl“ die Nutzung umweltfreundlicher Fortbewegungsarten versüßen.

Dreimal soviele Jahreskarten

Diesen Ansatz verfolgt die „Jahreskarte Graz“. Wer in der steirischen Landeshauptstadt seinen Hauptwohnsitz hat, kann seit Beginn des heurigen Jahres um 228 Euro eine personalisierte Jahreskarte für die Zone 101 (Graz und Umgebung) erwerben, die ansonsten 399 Euro kostet. Den Differenzbetrag begleicht die Stadt-gemeinde. Bis zum Jahresende rechnen die Holding Graz Linien mit 30.000 verkauften Jahreskarten Graz, damit wären mehr als zehn Prozent der Bevölkerung versorgt. „Von Jänner bis September 2015 wurden rund 28.600 Jahreskarten Graz verkauft. Wenn wir bis Jahresende 30.000 erreichen, hat sich durch die Aktion die Anzahl der Langzeitkunden verdoppelt und die der Jahreskartenbesitzenden nahe-zu verdreifacht“, betont Holding Graz-Vorstandsdirektorin Barbara Muhr. Das Grazer Mobilitätszuckerl hat aber auch den Bürgerinnen und Bürgern der Umlandgemeinden den Mund wässrig gemacht: So bekommen nun auch die Menschen, die in Stattegg und Seiersberg-Pirka wohnen, denselben Betrag rückerstattet. Denn der städtische Verkehr wird nicht unwesentlich durch Einpendelnde aus den Umlandgemeinden verursacht: Fast 90.000 Menschen kommen täglich nach Graz – diesen Strom umweltfreundlich umzuleiten, lohnt sich. Auch in Wien hat die Verbilligung der Jahreskarte auf 365 Euro einen Verkaufsboom ausgelöst.

Ein weiterer Versuch dazu ist die Grüne Jahreskarte, ein Gemeinschaftsprojekt von Energie Steiermark, GKB Graz-Köflacher Bahn, Verbundlinie und Land Steiermark in Zusammenarbeit mit ARGE Mobil: Wer auf den S-Bahn-Strecken S6, S7 und S61 der GKB eine Jahreskarte kauft oder bereits im Besitz einer Jahreskarte ist, kann um nur 185 Euro zusätzlich ein Elektro-Fahrrad für ein Jahr mieten.

Gut behütet: Das preisgekrönte Projekt „Grüne Jahreskarte“ in der Steiermark erhöht das Einzugsgebiet der S-Bahn durch den Verleih von Elektro- Fahrrädern.

E-Bike als missing link

Eine Kundenbefragung vor zwei Jahren hatte ergeben, dass drei Viertel der auf diesen Strecken Pendelnden weniger als vier Kilometer vom nächsten Bahnhof entfernt wohnen. Und es zeigte sich, dass ab zwei Kilometern Entfernung die Pkw-Nutzung sprunghaft ansteigt – da können E-Bikes das missing link sein.

Projektstart war im Mai 2014; derzeit sind knapp zehn Prozent der Jahreskartenbesitzenden auf das Angebot eingestiegen. „Die Grüne Jahreskarte ist auf der gesamten Pilotstrecke sehr erfolgreich“, erzählt Gundel Perschler, Geschäftsführerin der Energie Steiermark Mobilitäts GmbH. Eine Erweiterung auf zusätzliche Strecken des S-Bahn-Netzes ist bereits angedacht.

Es muss aber nicht gleich ein E-Bike sein, oft reicht schon ein einfaches Fahrrad, um auf eine zusätzliche Art mobil zu sein. So werden im Zuge des Wiener Projekts „Frauen in Fahrt“ Radkurse für erwachsene Anfängerinnen – insbesondere Migrantinnen – organisiert. Seit dem Jahr 2012 haben rund 150 Frauen teilgenommen. Die meisten Kurse wurden von der Mobilitätsagentur Wien finanziert, die Teilnahme war kostenlos. „Sinnvoll wäre es, die Frauen anschließend auch beim Radkauf zu unterstützen und noch mehr Fortgeschrittenenkurse anzubieten – wenn es eine Finanzierung dafür gibt“, so Eliza Brunmayr von der durchführenden Radlobby IG Fahrrad.

Öffi School: In Tirol lernen die Kinder das zum Benutzen von Bahn und Bus Notwendige.

Fürs Leben lernen

Nicht nur das Radfahren, auch der Umgang mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann trainiert werden – am besten von Kindesbeinen an. So gibt es in Innsbruck den „Mobistar Master“ und in ganz Tirol die „Öffi School“ des Verkehrsverbundes Tirol, die jeweils das Klimabündnis Tirol durchführt. In der Öffi School werden acht- bis zwölfjährige Kinder zu Öffi-Profis qualifiziert. Sie erlernen alles Nötige, vom Fahrplanlesen über die Planung einer Fahrt via Mobilitäts-App bis hin zu den Klimakennzahlen verschiedener Fortbewegungsarten. Der Workshop endet mit einer Probefahrt, bei der das richtige Verhalten an der Haltestelle und im Verkehrsmittel trainiert wird. Mehr als 1.600 Kinder haben bereits an der VVT Öffi School teilgenommen – doch der Wirkungskreis ist viel größer. „Die Kinder werden auf spielerische Art für die Nutzung von Bahn und Bus gewonnen – und stecken die Eltern mit ihrer Begeisterung an“, erzählt VVT-Geschäftsführer Jörg Angerer. Sie sind dann zwar nicht immer öffentlich unterwegs – aber immer öfter.

>>Die Projekte „Grüne Jahreskarte“, „Frauen in Fahrt“ und die „VVT Öffi School“ wurden mit dem VCÖ-Mobilitätspreis 2015 ausgezeichnet: www.vcoe.at/projekte/vcoe-mobilitaetspreis

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