Den Raum neu verteilen

Entlang der Straßen abgestellte Autos sowie Staus, die Busse und Straßenbahnen behindern, sind ein gravierendes Mobilitätsproblem. Klimawandel und Covid-19- Pandemie ändern den Anspruch an den Lebensraum vor der Haustür. Städte verwenden den knappen öffentlichen Raum neu.

Von Christian Höller

Während beispielsweise in Wien 65 Prozent der Verkehrsflächen dem Kfz-Verkehr zur Verfügung stehen, sind es für den Öffentlichen Verkehr, Gehen und Radfahren lediglich 35 Prozent, obwohl nur 27 Prozent der Wege in Wien per Auto zurückgelegt werden. „Es geht nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen, sondern sichtbar zu machen, was wir durch eine neue Verteilung der Fläche gewinnen können, um vom Minderheitenprogramm Autoverkehr wegzukommen“, so Barbara Laa von der Initiative Platz für Wien, die für eine Petition für eine klimagerechte, verkehrssichere Stadt bereits über 57.000 Unterschriften gesammelt hat. „Flächen für Gehen sind Aufenthaltsflächen im Freien. Ein Thema, das durch die Covid-19-Pandemie international an Bedeutung gewonnen hat.“ Umwelt-, klima- und gesundheitsschädliche Mobilität wird derzeit finanziell belohnt. Auf über zwei Milliarden Euro pro Jahr belaufen sich in Österreich umweltschädliche und sozial ungerechte Subventionen und Steuererleichterungen im Verkehrsbereich. Dazu kommen noch die externen Kosten, etwa für Umwelt- und Gesundheitsschäden, die verursacherunabhängig die Allgemeinheit zahlt. Diese fehlende Kostenwahrheit zurechtzurücken, ist wichtig, um klimaverträglichen Verkehrsmitteln wie Öffentlichem Verkehr, Radfahren und Gehen den ihnen zustehenden Platz sowie Finanzmittel zu geben.

Immer mehr Städte reduzieren Pkw-Abstellplätze

Ein erster Schritt zur Verringerung der Privilegien des Kfz-Verkehrs ist ein konsequentes Parkraummanagement. Gebühren für das Abstellen von Privat-Autos auf öffentlichem Grund verringern die Nachfrage für das Abstellen von Autos und sorgen für Einnahmen, mit denen Mobilitätsmaßnahmen finanziert werden können. In Amsterdam herrscht seit Jahrzehnten der Grundsatz: Je näher zum Zentrum hin Autos abgestellt werden, umso teurer wird es. In Köln beschloss im November 2016 die Bezirksvertretung Innenstadt mit dem Antrag „Parkfreie Zone Innenstadt“ eine jährliche Reduktion der Flächen zum Abstellen von Autos im öffentlichen Raum um zehn Prozent. In den betroffenen Zonen soll dabei das Kurzzeit- und Bewohnerparken schrittweise aus dem öffentlichen Straßenraum in die umliegenden Parkhäuser verlagert werden. In Zürich wurde bereits im Jahr 1996 die Anzahl der Abstellmöglichkeiten für Pkw im öffentlichen Raum gedeckelt – auf den Stand des Jahres 1990, und möglichst viele oberirdische Abstellplätze werden in unterirdische Parkhäuser verlegt. Nicht zuletzt deshalb werden heute für lediglich 25 Prozent der Alltagswege in Zürich Autos verwendet. Das sind 15 Prozentpunkte weniger als im Jahr 2000. 41 Prozent der Alltagswege werden mit dem Öffentlichen Verkehr zurückgelegt. Andere Städte verordnen Zufahrtsbeschränkungen für Kfz, um das Mobilitätsverhalten zu verändern. So unterteilt das Mobilitätskonzept der belgischen Stadt Gent seit dem Jahr 2017 die Innenstadt in sechs Zonen und eine Fußgängerzone. Während vorher jedes vierte Auto durchfuhr, ist die Innenstadt nun komplett vom Durchzugsverkehr entlastet. Flächendeckende Kurzparkzonen mit Ausnahmen für die Wohnbevölkerung waren eine weitere Maßnahme.

Mehr Busspuren, Straßenbahnen konsequent bevorrangen

Für attraktive kurze Reisezeiten braucht der Öffentliche Verkehr mehr Raum für Busspuren und konsequenten Vorrang für Straßenbahn und Bus. In Stuttgart konnte durch Ampelsteuerung und Busspuren die Gesamtfahrzeit der Innenstadtbuslinie 42 um zehn Prozent beschleunigt werden. Dadurch wird ein Fahrzeug weniger pro Umlauf benötigt und Kosten von 250.000 Euro pro Jahr werden eingespart. In Bern werden pro Jahr etwa zehn neue Begegnungszonen geschaffen – bisher gibt es etwa 100. Fast alle Begegnungszonen sind auf Wunsch der Bevölkerung entstanden, besprochen wird oft auch bei Straßensitzungen. In der Altstadt ging die Ini tiative von Geschäftsleuten aus, die sich bessere Shopping- und Aufenthaltsqualität im Zentrum wünschten, die durch die Tempo-Reduktion auch erreicht wurde. Bis zum Jahr 2035 soll die Hälfte der derzeit 8.500 Abstellmöglichkeiten für Autos im öffentlichen Raum aufgehoben werden. „Kapazitätsreduktion führt zu intelligentem Verkehrsverhalten, das zeigen viele Beispiele“, ist Harald Frey von der TU Wien überzeugt. „Während der Fußball-EM 2008 war der Ring in Wien rund ein Monat für den Kfz-Verkehr gesperrt. Während die Verkehrsmodelle eine Erhöhung des Verkehrsaufkommens auf der Ausweichstrecke von rund acht Prozent prognostizierten, zeigte eine vergleichende Erhebung, dass das Kfz-Verkehrsaufkommen auf der Ausweichstrecke um zwei Prozent geringer war, als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Es zeigt sich immer wieder, dass die Flexibilität der Infrastruktur größer ist als vorher angenommen, und angesagte Staus nicht stattfinden.“ „Covid-19 ist ein Game-Changer – auch für die Mobilität“, ist Karl Reiter, von der Forschungsgesellschaft Mobilität FGM in Graz überzeugt und sieht die Zeit reif für ungewöhnliche Ideen. „Nach der Übernahme des Leihradsystems Citybike Wien durch die Wiener Linien sollte das Leihrad ins 365-Euro-Jahresticket als Teil des ÖV-Angebotes inkludiert werden. Und die Wiener Linien könnten auch Verantwortung für Radverkehrsförderung und Planung übernehmen. Öffentlicher Verkehr, Radfahren und Gehen wären dann echte Verbündete.“

Ausprobieren – und über das Bekannte abstimmen

Dass Veränderungen anfangs meist auf Ablehnung stoßen, liegt in der menschlichen Natur. Die Möglichkeit zum unverbindlichen Ausprobieren erweist sich da immer wieder als „Eisbrecher“. In Rotterdam wurden flexible Fahrrad-Abstellanlagen für einige Monate auf bestehenden Auto-Abstellplätzen angeboten. Wenn die Bewohnerinnen und Bewohner, Geschäftsleute und Gäste nach der Versuchsperiode damit zufrieden waren, wurden sie in dauerhafte Fahrrad-Abstellplätze umgewandelt. Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Probelauf ist auch die City- Maut in Stockholm. Sie wurde von Jänner bis Juli 2006 probeweise für die Innenstadt eingeführt. Das führte dazu, dass 23 Prozent weniger Autos in die Innenstadt fuhren und die Feinstaubemissionen um 13 Prozent abnahmen. Beim Referendum nach der Probephase stimmten 53,1 Prozent für die dauerhafte Einführung der Gebühr. Heute ist die Zustimmung noch deutlich höher.

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