Ausgezeichnetes Konzept: Der Wolfurter Weg

Einbremsen: Die Begegnungszone auf der stark befahrenen Landesstraße wird gut angenommen und macht Wolfurt sicherer.

Viel Autoverkehr ist Symptom eines mangelhaften Angebots an Mobilitätsvarianten. Und ein Fall für Mobilitätssanierung. Wie das geht, führt die Gemeinde Wolfurt mit ihrem kommunalen Verkehrskonzept „im Zeichen der Koexistenz“ vor und gewann damit den VCÖ-Mobilitätspreis 2015.

>>Von Robert Fabach

großem Ehrgeiz werden – auch in Vorarlberg – Gebäude energieeffizient optimiert. Der Zersiedelung und damit der Auto-mobilisierung unserer Landschaft wurde aber trotz regelmäßiger Warnungen viel zu wenig Beachtung geschenkt. Heute sind die Dörfer des Rheintals zu einem Siedlungskonglomerat verschmolzen und sind dabei, zu einer neuen „Rheintal-Stadt“, in der rund 250.000 Menschen leben, zu werden.

Zwei Herzen in einer Brust

In Vorarlberg lastet einerseits die Idee vom eigenen „Hüsle“ schwer auf dem Land, und die Rheintalautobahn mit ihren automobil organisierten Einkaufszentren und Freizeitparks drängt die Menschen geradezu zum Auto. Andererseits findet sich eine traditionelle Politik der Förderung dezentraler Dorfgemeinden, die seit den 1990er-Jahren kommunale Einrichtungen wie Gemeindezentren und Veranstaltungssäle auch in Kleinstgemeinden unterstützt. Seit wenigen Jahren fasst der soziale Wohnbau auch am Land Fuß.

Mobilitätssanierung

Die Mahnung zur baulichen Verdichtung fokussierte sich lange Zeit auf den Schutz der Landschaft. Mittlerweile hat sie auch eine Mobilitätswende zum Ziel. Nach der Gebäudesanierung ertönt nun der Ruf zur Mobilitätssanierung – im wachsenden Bewusstsein, dass Verkehr ein Symptom für einen Mangel ist, kein Wesensmerkmal einer Stadt. Um diesen Mangel zu beheben, benötigen wir dichte Ortskerne mit kleinteiliger Infrastruktur und gleichberechtigten Wegen, unabhängig von der Art der Verkehrsteilnahme, statt wenige Versorgungszentren mit breiten Straßen.

Der Wolfurter Weg

Die Gemeinde Wolfurt hat vor zwei Jahren ein kommunales Verkehrskonzept „im Zeichen der Koexistenz“ erarbeitet und dessen Umsetzung in Angriff genommen. Unter Einbeziehung von Fachleuten und unter intensiver Bürgerbeteiligung wurde gemeinsam mit den Verkehrsingenieuren Besch und Partner ein Verkehrs- und Gestaltungskonzept für das kommunale Straßennetz erarbeitet. „Oft geschieht Verkehrsplanung anlassbezogen. Hier hatten wir die Chance, das gesamte Verkehrsnetz in einem breiten, partizipativen Prozess zu bearbeiten und sind mit dem Resultat mehr als zufrieden“, zieht Projektleiter Alexander Kuhn von Besch und Partner Bilanz.

In Wolfurt wurden Kreuzungspunkte und die Einfahrten in die Gemeinde neu gestaltet. Es wurden vier Begegnungszonen – eine auf einer stark befahrenen Landesstraße – und vier Fahrradstraßen mit über vier Kilometer Länge geplant und Tempo 30 auf allen Nebenstraßen eingeführt. „Dank der konsequenten und raschen Umsetzung vieler Maßnahmen bereits im ersten Jahr wurden Verbesserungen rasch wahrnehmbar“, erinnert sich Alexander Kuhn. Eine erste Evaluierung hat bereits deutliche Verbesserungen gezeigt. Der Verkehr in den Wohngebieten wurde langsamer und konnte ohne Ausweicheffekte verstärkt auf die Landesstraße und die naheliegende Rheintalautobahn verlagert werden. Die Begegnungszone hat die Querung der Landesstraße erleichtert, ohne zugleich den Durchzugsverkehr merkbar zu behindern.

Mitreden: Unter intensiver Beteiligung der Bürgerschaft wurde in Wolfurt ein Verkehrs- und Gestaltungskonzept für das kommunale Straßennetz erarbeitet.

Mobilität als soziales Thema

Dies findet in einer beginnenden Blüte von innergemeindlichen Verdichtungen statt. Projekte wie der Götzner Garnmarkt oder die Aufwertungen öffentlicher Räume, Durchgrünung und Innenstädte ohne Autoverkehr, wie in Dornbirn, sind weitere Beispiele dafür.

Dahinter steht auch ein großes soziales Thema. Der Zwang zum Auto verteuert den Wohnraum und bindet zwei bis drei Monatsgehälter jährlich. Mobilitätsfreiheit aber bedeutet, seinen Alltag mit dem Fahrrad und im Öffentlichen Verkehr bewältigen zu können.

Angebote wie die 365-Euro-Jahreskarte für das vorarlbergweite öffentliche Verkehrsnetz leisten auch einen wesentlichen Beitrag zu Architektur und Siedlungswesen. Indem heute bei aktuellen Wohnprojekten, beispielweise bei der Wohnanlage Fellentor in Lauterach, die Nähe zur Bahn und zum Bus in einem eigenen Mobilitätskonzept verwertet werden, kann die Baubehörde die Zahl der Auto-stellplätze reduzieren.

Wohnwert auf engem Raum

Anreize zu Diversität bei der Mobilität, wie Stromanschlüsse für Elektro-Mobile und die Aufwertung von Fahrradabstellflächen, finden Eingang in die Förderungspolitik des Landes. Der Wunsch nach einem attraktiven sozialen Umfeld und nach Kosten-reduktion durch andere Konzepte von Mobilität wird bereits in vielen Projekten umgesetzt. Beispielsweise in der Seestadt Aspern in Wien oder in den Wohnquartieren Kalkbreite und Zollhaus in Zürich wird autofreies Wohnen mit fußläufiger Versorgung angeboten. Auch im ländlichen Raum suchen Initiativen, wie „Neustart Schweiz“ und eine wachsende Zahl von Baugemeinschaften in Vorarlberg, aufbauend auf einer eigenen Tradition des kollektiven Bauens nach aktuellen Formen der autoverkehrsfreien und sozialen Verdichtung.

Die zunehmende Unleistbarkeit des individuellen Wohnbaus für breite Schichten, eine vorsichtig wachsende Bereitschaft der Bauherren und Wohnungssuchenden zum Gemeinschaftlichen und das pragmatisch gestalterische Potenzial einer breit entwickelten Architektenschaft wären gute Voraussetzungen für Alternativen.

 

>> Das Projekt „Der Wolfurter Weg: Kommunales Verkehrskonzept im Zeichen der Koexistenz“ wurde als Gesamtsieger des VCÖ-Mobilitätspreis 2015 ausgezeichnet: www.vcoe.at/projekte/vcoe-mobilitaetspreis

 

>>Zum Autor: Robert Fabach, Bregenz, www.raumhochrosen.com

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