Auf eine gute Zukunft hinarbeiten

Was es für den VCÖ bedeutet, Zukunft zu gestalten, wie er guten Ideen eine Bühne gibt, weshalb es bei Innovationen wichtig ist, sich Reaktionsmöglichkeiten offen zu halten, und warum populistische Regierungen NGOs bekämpfen – Willi Nowak, VCÖ-Geschäftsführer, im Gespräch über seine Erfahrungen aus 30 Jahren VCÖ.

Das Interview führte Christian Höller

VCÖ-Magazin: Der VCÖ befasst sich mit der Zukunft der Mobilität und will diese mitgestalten – wie geht das?

Willi Nowak: Zukunft ist unbekannt. Sie gestalten zu wollen, braucht die Fähigkeit und den Willen, mehr als die eigene Jetzt-Situation im Auge zu haben. Der Blick nach draußen und Veränderung machen auch Angst. Bewusstheit, Reife und vielleicht auch Alter sind da hilfreich. Es ist anstrengend, sich sowohl von der Gegenwart zu lösen als auch das Ego hinter sich zu lassen, also das persönliche, das organisationale und auch das nationalstaatliche Ego. Den Blick auf das Ganze, das weltweite Ökosystem zu richten, und dieses aus dem Blickwinkel der globalen Menschheitsgemeinschaft zu betrachten, inklusive jener, die noch gar nicht leben, ist herausfordernd. Aus so einer zukünftigen, globalen und thematisch breiten Sicht wird das Ego unbedeutend. Es geht um Gerechtigkeit, um Ressourcenverteilung, globale Folgen der Klimaänderungen und letztlich auch ganz konkret um die Überlegung, ob das, was ich für mich beanspruche, aus dieser größeren Perspektive heraus überhaupt zulässig ist. Eine globale und generationenübergreifende Sichtweise, die zudem über den Tellerrand des eigenen Kompetenzbereichs reicht, ist schwierig. Aktuell wird etwa die veränderungsunwillige Automobilindustrie politisch geschützt und damit innovativere Industriezweige mit Zukunft behindert. Noch fehlt in unserer Gesellschaft das Hinarbeiten auf ein gutes Leben für alle auf der Welt, ohne Schaden anzurichten, jetzt und in der Zukunft. Die Rolle einer NGO ist es, diese Lücke zu schließen.

NGOs weht ein rauer Wind entgegen. Wie ist diese Entwicklung zu sehen?

Willi Nowak: Populisten behaupten, dass nur sie wüssten, was „die Menschen“ brauchen. Wer „die Menschen“ sind, wird nicht erklärt. Aus den Handlungen wird aber sichtbar, dass es jedenfalls gegenwärtige Menschen und eng gefasste Personenkreise sind. Daher behindern und verunmöglichen Populisten breit angelegte Partizipation wo es geht. Und so ist es ihnen gar nicht recht, dass NGOs die Interessen der Umwelt, zukünftiger Generationen, der Menschen am Rande der Gesellschaft oder in anderen Erdteilen vertreten. Eine Stärke von NGOs ist, Öffentlichkeit für ihre Anliegen und damit Meinungsvielfalt herzustellen. Populisten versuchen, andere Meinungen zum Verstummen zu bringen, Finanzierungsquellen für NGOs zu schließen und deren Image zu untergraben. Versuche den VCÖ mundtot zu machen, haben wir ganz konkret erlebt. Und wenn versucht wird, diese Vorgehensweise auch noch wie aktuell bei der Umweltverträglichkeitsprüfung in Rechtsmaterie zu gießen, ist das sehr gefährlich für den Rechtsstaat und nicht nur für NGOs.

Wie bringt der VCÖ neue Lösungen im Mobilitätsbereich voran?

Willi Nowak: Den VCÖ sehe ich in der Rolle eines Sämanns – das Ausstreuen von lösungsorientierten Ideen und Gedanken im Mobilitätsbereich, um Veränderungen anzustoßen. Ausgehend von der Wahrnehmung einer Differenz kann fakten- und wissensbasiert die Vorstellung einer Lösung entstehen. Und wenn daraus Prototypen und Modellprojekte entwickelt werden, beispielsweise wie wir sie jährlich mit dem VCÖ-Mobilitätspreis vor den Vorhang holen, ist der Boden für allgemeine Lösungen bereitet. Dieses Physisch-werden-Lassen von Gedachtem hat hohe Überzeugungskraft und regt zum Nachahmen an.

Nicht alle der ausgesäten Ideen werden fruchtbar und gehen auf. Grundsätzlich gilt: „Die Ideen von heute sind die Basis der Mobilität von morgen.“ Der Alltag des VCÖ ist oft bestimmt davon, negative Entwicklungen hintan zu halten. Beispielsweise, wenn Tempo 140 diskutiert wird oder das Verwässern eines neuen Testfahrzyklus für die Autozulassung zu verhindern ist. Oder bei der EU-Gesetzgebung zu schauen, dass CO2-Reduktionsziele nicht zu niedrig angesetzt werden, weil sonst das langfristige Klimaziel nicht zu erreichen ist. Gleichzeitig sind positive Entwicklungen, die ohne Zutun des VCÖ stattfinden, zu unterstützen. Beispielsweise gibt es das Teilen von Autos in der Familie oder unter Freunden schon lange, inzwischen gibt es kommerzielle Angebote. Jetzt braucht es einen gesetzlichen Rahmen, der erleichtert, das beispielsweise Carsharing-Autos bewusst gegenüber dem Privatbesitz eines Autos, der viel mehr Platz verbraucht, bevorrangt werden, etwa indem sie im öffentlichen Raum stehen dürfen ohne Parkgebühr zu bezahlen. So ein Carsharing-Gesetz ist eine Rahmenbedingung, für die sich der VCÖ einsetzt.

Was lernen wir aus dem Zeitalter des Verbrennungsmotors über das Vermeiden von negativen Seiteneffekten?

Willi Nowak: Es wäre schon ein guter Anfang, uns bewusst zu halten, dass das, was wir jetzt als Lösung für ein Problem sehen, möglicherweise neue Probleme, zumindest aber Unerwartetes hervorbringt. Wichtig ist: Neuerungen brauchen eine Art Probebetrieb, danach wird nachjustiert, bevor der Standardprozess anläuft. Eine City-Maut oder Begegnungszonen können ausprobiert werden. Dann braucht es gar nicht den gedanklich vorweggenommenen Volksaufstand als Ausrede dafür, gar nicht erst zu beginnen. Ein solches schrittweises Vorgehen ist eine wichtige Voraussetzung für Neues. Als vor fast 30 Jahren in Graz flächendeckend Tempo 30 eingeführt wurde, ist der Verkehr auch nicht zusammengebrochen, obwohl manche das prognostizierten. Eine Erkenntnis daraus hätte sein können, österreichweit in den Städten generell Tempo 30 einzuführen und Tempo 50 nur in Ausnahmefällen zu bewilligen. Doch noch immer muss um jede Tempo 30-Zone angesucht werden.

In Wohnquartieren, das sind in Städten immerhin 80 Prozent der Flächen, könnten bereits generell die baulich getrennten Gehsteige abgeschafft und eine durchgängige Fläche im Straßenraum gemacht werden. Für das Gehen sind die Höhenunterschiede hinderlich und de facto dienen in Wohnquartieren die Gehsteigkanten nur noch dazu, Platz für parkende Autos zu reservieren. Eine ebene Fläche ist leichter vielfältig nutzbar und gestaltbar. Und jene, die sich den öffentlichen Raum der Zukunft ohne Autos noch nicht vorstellen können und wollen, können bis dahin noch immer Parkplätze markierten. Wer schon jetzt Zukunft gestalten möchte, wird Sitzgelegenheiten aufstellen, bepflanzen, entsiegeln und Wasser in den öffentlichen Raum bringen. Ein solcher neuer Planungsgrundsatz „ohne Gehsteigkanten“ ließe sich auch sukzessive anlässlich jedes einzelnen stattfindenden Straßenumbaus umsetzen. Das würde es uns ermöglichen, schon vor dem Jahr 2050 egalitär den Straßenraum zu benutzen, ohne dass Menschen behindert oder gefährdet werden.

Eine einfache erste Herangehensweise zur Vermeidung von negativen Seiteneffekten oder Rebound-Effekten ist, die Grundfragen zu stellen, ob eine vorgeschlagene Lösung erstens Verkehr vermeidet (oder doch vermehrt), zweitens zu fragen, ob Verkehr auf nachhaltige Weise verlagert wird, und drittens, ob die Lösung Verkehr auch effizienter macht. Wenn diese Reihenfolge nicht eingehalten wird, sondern nur bei der Effizienz angesetzt wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit von negativen Seiteneffekten hoch. Wer beispielsweise E-Autos auf Busspuren lässt, behindert den Öffentlichen Verkehr, weil übersehen wird, dass der Platz und nicht der Motor-Typ der Grund für die Busspur ist.

Der Wirtschaftshistoriker David Edgerton sagte: „Der Ruf nach Innovation ist, paradoxerweise, ein beliebter Weg, um Veränderungen abzuwehren, wenn sie nicht erwünscht sind.“ Können E-Autos, automatisiertes Fahren etc. auch als Systemerhaltung unseres nicht sehr umweltverträglichen Verkehrssystems mit anderen Mitteln gesehen werden?

Willi Nowak: Ja, selbstverständlich trifft auch diese Sichtweise zu. Auch NGOs sind in dieser Falle gefangen. Denn wenn beispielsweise definierte Gesundheitsstandards von NGOs eingefordert werden, so hat das umgekehrt betrachtet dazu geführt, dass es erlaubt ist, bis zu einer bestimmten Menge zu vergiften. Wenn also ein Tempolimit eingeführt wird, wird umgekehrt erlaubt, bis zu einem gewissen Grad zu gefährden. Wenn am Horizont ein Ablaufdatum des Verbrennungsmotors erkennbar ist und versucht wird, das ohne andere Systemanpassungen mit E-Motoren zu kompensieren, dann wird erstens das Auf-Dauer-Stellen des Autofahren generiert und zweitens ein Rebound-Effekt erzeugt, weil den Konsumentinnen und Konsumenten das Gefühl gegeben wird, sie tun jetzt durch E-Auto-Fahren etwas Gutes. Innovationen, die sich auf Effizienz beschränken, bergen jedenfalls die Gefahr von Rebound-Effekten, weil sie oft zu kurz gedacht sind.

Was sind die nächsten Meilensteine im Verkehrsbereich in Österreich?

Willi Nowak: Mit der Einengung auf Österreich wird es nicht getan sein. Auch die Verkehrswelt ist globalisiert. Es braucht den vollständigen Ausstieg aus den fossilen Treibstoffen. In Österreich ist der Verkehr nicht nur der größte Klimasünder, sondern mit diesen fossilen Treibstoffen befeuern wir auch autoritäre, menschenverachtende und undemokratische Staaten, aus denen wir diese Rohstoffe beziehen. Die große Herausforderung heißt also Elektrifizierung, ohne dabei jenen auf den Leim zu gehen, die glauben, der Austausch des Verbrennungsmotors durch einen E-Motor wäre „die“ Lösung. Die Verkehrswende meint nicht nur Ausstieg aus dem Erdöl, sie meint auch Halbierung des Energieeinsatzes und Schluss mit Bodenverbrauch und Bodenversiegelung. Eine ernst gemeinte Verkehrswende greift in das tägliche Konsumverhalten aller ein und verschränkt sich mit einer Ressourcenwende ebenso wie mit einer Ernährungswende oder einer Industriewende. Noch viel zu wenige Menschen haben verstanden, dass wir am Beginn einer großen gesellschaftlichen Transformation stehen – sozusagen: Schluss mit Weiter-so-wie-Bisher. Das wird anstrengend und umso mehr, je später wir damit beginnen.

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